Opferzeit: Thriller (German Edition)
Late-Night-Verkaufsshow sein dürfte. Er kapiert es einfach nicht, das wird er nie, und er hasst es, daran mitzuwirken, dass die Sache glaubwürdiger erscheint.
Sie fahren Richtung Norden. Das Stadtbild verändert sich, während sie durch verschiedene Vororte fahren, auf alte Häuser folgen neue, auf neue Häuser folgen Geschäfte – und nach jeder Kurve ist es dennoch unverkennbar Christchurch. Es ist seine Stadt; eine Stadt, für die viele Leute hier eine Hassliebe hegen. Er erinnert sich, gelesen zu haben, dass die meisten Menschen wenige Kilometer von dort, wo sie geboren wurden, auch sterben. Entweder verlassen sie nie die Stadt, oder sie ziehen hinaus in die Welt und kehren Jahre später wieder zurück. Er fragt sich, ob das stimmt. Er hat viel darüber nachgedacht, seit er letzten Dezember fast gestorben wäre. Also, wenn man’s ganz genau nimmt, war er im heißen, sonnigen Dezember tatsächlich für ein paar Minuten tot. Er wird die Erinnerung daran nicht mehr los. Sie hat sich tief in sein Inneres gebohrt, wie ein Splitter unter dem Fingernagel, der sich nicht herausziehen lässt. Seine Hände waren mit Handschellen auf den Rücken gefesselt, und man hat seinen Kopf in eine Badewanne voller Wasser gedrückt. Als er starb, sah er allerdings kein Licht am Ende irgendeines Tunnels und verspürte auch keinen inneren Frieden, und dann wurde er wieder zurückgeholt. Seitdem betrachtet er die Welt in einem etwas anderen Licht. Sie gefällt ihm nicht. Genauso wenig, wie es ihm gefällt, seine Kinder darin großzuziehen. Oder sich an den Moment zu erinnern, als seine Lunge sich mit Badewasser füllte.
Er schaltet das Radio ein und stellt verschiedene Sender ein auf der Suche nach einem, auf dem nicht über Joe oder die Todesstrafe geredet wird, dann versucht er, einen Sender zu finden, der Musik ohne Werbung spielt, und schließlich gibt er es auf. Der verdammte CD-Player funktioniert nicht mehr, seit seine Tochter vor einem Jahr Wasser hineingeschüttet hat, weil sie, wie sie sagte, hoffte, dass die Musik dadurch klarer würde. Wahrscheinlich hat er Glück gehabt, dass das Radio noch funktioniert. Vielleicht ist das eine Art skurrile Gerechtigkeit , die Christchurch über ihn verhängt – sie bringt ihn fast um und nimmt ihm seinen CD-Player, aber dafür kriegt er alle Sender rein.
Kent hat ihm die GPS-Daten des Leichenfundortes geschickt. Sie waren so präzise, dass sie ihn und Jones heute Morgen zu dem Farmgelände geführt haben. Sie sind um kurz vor neun zusammen mit dem Wagen dort rausgefahren. Schroder saß am Steuer. Ihm gefiel die Vorstellung nicht, dass Jones die Kontrolle über den Wagen hat – was, wenn ihn plötzlich eine Vision von Elvis niederstreckt? Stattdessen entschied Jones sich, die Kontrolle über ihre Unterhaltung zu übernehmen. Es erfordert Mut zu sagen, was Jones sagte, und während der Fahrt begann Schroder sich zu fragen, was der Unterschied zwischen jemandem ist, der sich berufen fühlt, mit den Toten zu reden, und jemandem, der im Fernsehen gegen eine Gage der Öffentlichkeit hilft. Was für die einen Wahnsinn ist, ist für die anderen wohl nur eine Showeinlage.
Die zwanzig Minuten, die sie gemeinsam im Wagen verbrachten, hat Jones also vor sich hingeschwafelt. Sie trugen beide dicke Jacken und Wanderstiefel, und als sie vom Wagen zum Grab marschierten, verstummte das Gespräch. Die Stelle, wo Calhoun verscharrt wurde, war nicht schwer zu finden. Einerseits wies der umgegrabene Boden auf die Stelle, andererseits die Fußspuren, die von der Straße dorthin führten. Er und Jones verbrachten dreißig Minuten damit, die Tatsache zu vertuschen, dass in den letzten vierund zwanzig Stunden schon jemand dort gewesen war. Schroder fand, dass ihnen das ziemlich gut gelungen war. Dort draußen herrschte eine unheimliche Atmosphäre, und die meiste Zeit schwiegen sie. Jones war zufrieden, Schroder traurig gewesen. Er befand sich dort am Grab eines ehemaligen Cops, eines Mannes, der denselben Kampf wie er gekämpft hatte; sie waren Waffenbrüder gewesen, und jetzt diente Calhoun als Requisite für einen billigen Taschenspielertrick, und Schroder hatte das ermöglicht. Die Sonne schien durch die blätterlosen Bäume auf den Boden, sodass ein Teil der Feuchtigkeit verdunstete und dampfend emporstieg. Das hier war ein guter Ort für Dreharbeiten. Die Kameras würden es lieben. Er wusste, dass es das war, was Jonas Jones, Beruf Hellseher, dachte. Während er selbst über die Gesetze der Physik
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