Opferzeit: Thriller (German Edition)
Stunde werden wir wieder reingebracht. Niemand erwähnt das kaputte Telefon, doch ich weiß, es ist nur eine Frage der Zeit. Vielleicht überbringt man mir die Nachricht in Form eines weiteren Scheiße-Sandwichs.
Zurück in meiner eigenen Zelle schaue ich abwechselnd auf die Bücher und zur Toilette, und ich denke abwechselnd daran, dass Melissa mich nicht gerettet hat und Calhoun gefunden wurde. Ich warte, dass es zwölf Uhr wird. Als es so weit ist, werden wir in den Gemeinschaftsbereich rausgebracht. Meinem Magen geht es nicht besonders, aber es geht ihm besser. Er erholt sich langsam. Ich suche mir einen Platz, von dem aus ich einen guten Blick auf den Fernseher habe. Die Nachrichten laufen bereits. Eine Sondersendung. Eine wirklich interessante Sendung. Auf den Feldern von Canterbury wurde eine Leiche gefunden. Ja! Die Reporterin ist live vor Ort. Sie ist attraktiv. Ja! So wie viele Reporterinnen in den Zwanzigern. Ich wünschte, sie würde live aus meiner Zelle berichten. Sie bekäme einen Exklusivbericht. Wir haben brandaktuelle Neuigkeiten .
Hinter ihr sind Polizeiautos und Bäume zu sehen und ein Stück Land, das jetzt seine fünfzehn Minuten Ruhm be kommt. Das Land gehört einem Typen namens Mark Hamp ton. Hampton ist Farmer. Er baut Weizen an, streicht Scheunen und vögelt Kühe, und er hilft der Polizei bei ihren Ermittlungen. Die Leiche wurde bisher nicht identifiziert. Aber die Umstände, unter denen sie gefunden wurde, deuten stark darauf hin, dass es sich um Detective Inspector Calhoun handelt, der vor einem Jahr verschwunden ist.
»Wir können nicht genau sagen, wie er das gemacht hat«, sagt die Reporterin mit den vollen Lippen und den hübschen Augen, »aber Jonas Jones hat ein Filmteam hierhergeführt, das für die Finding-the-Dead -Folge nächste Woche gedreht hat, in der es um das Verschwinden des Polizisten geht. Man weiß, dass der Beamte letztes Jahr von Melissa X ermordet wurde, der es bisher jedoch gelungen ist, sich der Verhaftung zu entziehen. Laut den Produzenten der Sendung hat Jonas Jones auf übersinnlichem Weg Kontakt mit dem toten Detective aufgenommen.«
Der Bericht geht weiter. Ich warte auf die Ankündigung der Reporterin, dass Finding the Dead auf ihrem Sender ausgestrahlt wird, aber sie kommt nicht. Irgendwann richtet sich die Kamera auf Carl Schroder. Er wirkt müde. Die Reporterin bestätigt, dass Schroder für die Fernsehstation arbeitet, die Jonas Jones’ Sendung produziert. Damit ist klar, dass Schroder dabei war, als die Leiche gefunden wurde. Dann zeigen sie Jonas Jones im Gespräch mit der Frau, die mich gestern zur Farm raus begleitet hat.
Während ich die Entwicklung der Ereignisse verfolge, steigt meine Laune. Nicht nur weil jetzt sicher ist, dass ich bezahlt werde, sondern auch weil die Tatsache, dass es Menschen gibt, die an Hellseher glauben und deren Sendungen anschauen, bedeutet, dass die Leute alles glauben.
Das wiederum bedeutet, dass es auch Leute gibt, die an meine Unschuld glauben werden.
Kapitel 45
Endlich schleicht sich etwas Wärme in den Tag. Was an diesem Tag nicht schleicht, ist der Verkehr, und dafür ist Melissa ziemlich dankbar. Sie hasst es, im Verkehr festzustecken. Sie befürchtet dann immer, jemand könne sie von hinten rammen, und es würde zu einer Auseinandersetzung kommen, zu einer dämlichen Verkettung von Zufällen, die schließlich dazu führt, dass man sie schnappt. So was ist in der Vergangenheit schon häufiger passiert – nicht ihr, aber Leuten wie ihr –, Leuten, die andere getötet haben und die dann wegen Falschparken, einer Geschwindigkeitsübertretung oder Überfahren einer roter Ampel geschnappt wurden. Je eher Melissa wieder von der Straße runter ist, desto besser. Sie will das hinter sich bringen und wieder zurück nach Hause, schließlich führt sie ein häusliches Leben, das sie nicht vernachlässigen darf. Es bleibt noch einiges für Joes Ankunft vorzubereiten.
Sie fährt zurück zu dem Bürogebäude und parkt auf ihrem gewohnten Parkplatz. Die Tür ist geschlossen, wurde aber noch nicht repariert, daher schwingt sie ohne Widerstand auf. Sie trägt das Gewehr hinauf ins Büro. Dort späht sie durch den Vorhang und starrt auf die Rückseite des Gerichtsgebäudes. Sie stellt sich den Baum vor, auf den sie gerade geschossen hat, dann stellt sie sich vor, dass Joe dort unten steht, und hat jetzt mehr Zweifel denn je, dass es funktionieren wird. Bestimmt wird Raphael den Schuss wagen – aber ist er auch gut genug?
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