Opferzeit: Thriller (German Edition)
sie.
»Ich war nicht da, um dich zu beschützen. Diese Tat ändert nichts daran, aber mehr kann ich nicht tun.«
» Ich finde es auch schade, dass du nicht da warst, um mich zu beschützen« , sagt sie. » Du hättest eigentlich da sein müssen. Es war deine Aufgabe.«
» Ich weiß«, sagt Raphael, dann weint er. »Es tut mir so leid.«
»Danke, dass du ihn für mich tötest«, sagt sie. »Ich bin froh, dass du es in meinem Namen tust. Lass ihn leiden, Daddy. Lass ihn richtig leiden, und dann soll er in der Hölle schmoren. Ich wünschte nur, du könntest in zehnmal hintereinander töten. Hundertmal hintereinander.«
»Ich vermisse dich, Baby«, sagt er, bevor er das Foto zurück in seine Tasche schiebt und hinauflangt, um das Gewehr aus der Zwischendecke zu holen.
Kapitel 50
Ich erwache um Punkt sieben. So wie wir alle. Ein lautes Summen ertönt. Es reißt uns aus unseren Träumen und setzt allem, was dort an Gutem passiert, ein jähes Ende. Auch wenn in diesem Fall das Gute nur meine Erinnerung an Ro nalds ausdruckslosen Blick war, als der Hammer seinen Schädel zertrümmerte. Er stand einfach ein paar Sekunden lang da und starrte mich an. Ich denke, er wusste, dass er tot war, aber sein Körper hinkte der Erkenntnis wohl noch etwas hinterher. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er wie ein nasser Sack zusammenklappte, aber es dauerte zwei oder drei Sekunden, bis er zu Boden stürzte. Es war verdammt merkwürdig, und irgendwie verstieß es gegen die Naturgesetze. Mörder behaupten ja oft, sie könnten sich nicht an die Tat erinnern, sie hätten einfach abgedrückt, das Ganze wäre wie ein Traum gewesen. Aber genau das Gegenteil trifft zu. Wenn du jemanden tötest, fühlst du dich höchst lebendig – und wer zum Teufel würde so etwas vergessen wollen?
Ich gehe auf die Toilette und warte dann geduldig dreißig Minuten lang in meiner Zelle, bis mein Zellenblock zum Frühstück geführt wird, zu dem Fraß, den ein am Ebola- Virus Erkrankter hervorgewürgt zu haben scheint. Mein Magen fühlt sich gut an. Was auch immer in dem Sandwich war, hat seine Wirkung nun verloren, ist durch meinen Verdauungstrakt gewandert und hat mir kein bisschen geschadet. Adam kommt und sieht mich. Er mustert mich von oben bis unten. Er wirkt nicht gerade glücklich.
»Du siehst besser aus, Middleton.«
»Scheiß auf dich«, erwidere ich.
Er lacht. »Wir haben das Foto, auf dem du das Sandwich isst, vielen deiner Kumpels gezeigt«, erklärt er mir. »Das gab jede Menge Lacher.«
»Ich brauche nur eine Liste«, erkläre ich ihm.
»Was?«
»Eine Liste. Denn wenn ich hier rauskomme, töte ich verdammt noch mal jeden Einzelnen von ihnen, und mit dir fange ich an.«
Erneut lacht er, diesmal sogar noch lauter. »Himmel, Joe, du bringst mich echt zum Lachen. Dieses Gefängnis braucht Leute wie dich, und glücklicherweise wirst du eine lange Zeit hier verbringen – bis sie dich endlich aufknüpfen, was uns natürlich sehr betrübt, zumindest bis der nächste lustige Bastard hier eingesperrt wird und wir dich komplett vergessen.«
Er führt mich runter zu den Duschen. Ich reinige mich, dann wirft er mir ein paar Kleider zu. Es ist ein Anzug. Derselbe Anzug, den früher schon andere Gefangene mit meiner Körpergröße getragen haben. Derselbe Anzug, den ich getragen habe, als einige Tage nach meiner Verhaftung Anklage gegen mich erhoben wurde. Ein grauer Anzug mit einem dunkelblauen Hemd und schwarzen Schuhen. Ich sehe darin aus wie ein Bankangestellter. Nur ohne Schuhbänder und Hosengürtel. Adam verspricht mir, dass ich sie noch erhalte, bevor ich gehe. Das Hemd hat Schweißflecken unter den Achseln, riecht nach Kohl, und ich schüttle es aus in der Hoffnung, dadurch sämtliche darin nistenden Kopfläuse auf den Boden zu befördern.
Ich werde zurück in meine Zelle geführt. Ich muss noch eine Stunde warten, und einen Großteil der Zeit verbringe ich damit, auf dem Rand meines Betts zu sitzen und über den Prozess nachzudenken. Zum ersten Mal nimmt das Ganze für mich realistische Züge an. Natürlich war mir immer klar, dass dieser Tag irgendwann kommen würde – auch wenn ein Teil von mir überzeugt war, es würde nie passieren–, dennoch war ich davon ausgegangen, dass die Polizei ziemlich bald einen Grund finden würde, mich wieder gehen zu lassen. Doch nun nehmen die Prozessvorbereitungen unaufhaltsam ihren Lauf, heute beginnt die Verhandlung, und plötzlich spielen meine Nerven verrückt, sodass ich mich beinahe übergebe.
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