Opferzeit: Thriller (German Edition)
Und dann übergebe ich mich tatsächlich. Als ich fertig bin und mich von der Toilettenschüssel zurücklehne, steht Caleb Cole in meiner Zellentür.
»Ein Abschiedsgeschenk«, sagt er, dann geht er mit etwas Spitzem in der Hand auf mich los.
Ich schaffe es nicht mal mehr, mich aufzurichten, da ist er schon bei mir, aber immerhin gelingt es mir, mein Kissen hochzureißen, sodass sich der Gegenstand, mit dem er mich zu erstechen versucht – es handelt sich um eine spitz zugefeilte Zahnbürste –, ins Kissen bohrt, aber sie dringt nicht ganz durch, sondern bleibt kurz vor meiner Hand stecken. Mit meiner anderen Hand verpasste ich ihm einen Schlag in die Eier, woraufhin er rückwärts stolpert, aber nicht so weit, wie ich erwartet hatte, und dann schleudere ich das Kissen nach ihm, was für einen Außenstehenden recht lachhaft wirken muss.
Er stürzt sich erneut auf mich, doch diesmal kann ich mich rechtzeitig aufrichten. Mir bleibt nicht viel mehr übrig, als zu reagieren. Ein Überlebensinstinkt hat sich eingeschaltet. Abgesehen von unseren Schritten und erstickten Grunzlauten herrscht Stille in der Zelle. So klingt ein echter Kampf. Es gelingt mir, mit beiden Händen seinen Arm mit der Zahnbürste zu packen, und er benutzt seine freie Hand, um mir in die Eier zu boxen. Oder besser gesagt, in das eine Ei. Ich lasse mich auf die Knie fallen, ohne aber den Griff um sein Handgelenk zu lösen, denn ich weiß, davon hängt mein Leben ab. Gleichzeitig reiße ich ihn nach vorn. Er atmet heftiger. Ebenso wie ich. Ich kippe nach hinten, falle mit dem Rücken auf das Bett, meine Unterschenkel sind noch auf dem Boden und die Füße werden irgendwo dazwischen eingeklemmt. Er stürzt auf mich, und für einen Augenblick hören wir auf, aufeinander einzudreschen und konzentrieren uns stattdessen beide auf die Zahnbürste. Ich schätze, neun von zehn Zahnärzten würden nicht empfehlen, sich den Magen von einer derartigen Zahnbürste durchbohren zu lassen. Und der zehnte Zahnarzt ist entweder ein Blödmann oder derjenige, der damit zusticht.
»Stirb, du Arschloch«, sagt Cole.
Ich sage gar nichts. Ich konzentriere mich einfach wei ter auf die Zahnbürste. Ihre Spitze zielt auf meine Brust, und sie kommt näher, als er sein volles Körpergewicht darauf stützt.
»Stirb«, wiederholt Cole, und er stößt das Wort hasserfüllt und mit viel Spucke versetzt aus. Ich versuche, ihn zurückzudrängen, aber es ist ein aussichtsloses Unterfangen.
Also tue ich das Einzige, was mir noch bleibt. Ich kreische wie ein kleines Mädchen.
Cole weicht ein wenig zurück, als seien die an sein Ohr dringenden Schallwellen unerträglich für ihn. Der Klang meines Schreis erinnert mich an die Situation vor einem Jahr, als Melissa mich mit einer Zange packte, dort, wo man niemals mit einer Zange gepackt werden will. Ich bemühe mich, noch lauter zu schreien. Doch es ist nicht laut genug, und als mein Gekreische ein paar Sekunden später verklingt, nähert sich mir die Zahnbürste wieder.
Das Letzte, was mir durch den Kopf geht, als die Zahnbürste kurz davor ist, mich zu durchbohren, ist meine Mutter, meine Mutter und ihre bescheuerte Heirat, sie in irgendeinem hässlichen Kleid, und Walt sagt: Ja, ich will , und dann küssen sie sich vor einem Priester und vor allen anderen, die das Pech haben, anwesend zu sein. Plötzlich wird Caleb Cole zur Seite gerissen, und direkt hinter ihm taucht Santa Suit Kenny auf. Kenny schleudert Cole gegen die Wand und blickt dann auf mich herab.
»Alles in Ordnung?«, fragt er.
Aber noch bevor ich antworten kann, findet die Zahnbürste, die ursprünglich mir zugedacht war, ein neues Ziel, Cole rammt sie Kenny in den Körper, dreht sie und wendet sie, es ertönt ein Übelkeit erregendes Geräusch von durchbohrtem Fleisch, und ein merkwürdiger Geruch macht sich breit, dann gibt es einen Knacks, als die Zahnbürste abbricht, wobei die eine Hälfte in Kennys Körper verbleibt und die andere in Coles Hand. Santa Suit Kenny stolpert rückwärts, blickt an seiner Seite hinab, wo sich Blut auf seinem Gefängnisoverall ausbreitet, und ein ungläubiger Ausdruck malt sich auf sein Gesicht, so, als könne er nicht glauben, dass an diesem Punkt seine von Musik und sexuellem Missbrauch geprägte Lebensreise zu Ende geht.
Caleb fällt ein weiteres Mal über mich her, schwingt die verbleibende Hälfte der Zahnbürste, trifft mich hart in der Magengegend, nur durchbohrt mich der Griff nicht, weil er keine scharfe Spitze mehr
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