Opferzeit: Thriller (German Edition)
Melissa. »Betrachte dich selbst als Ärztin und mich als deine Assistentin. Nimm es als die Herausforderung, auf die du schon immer gewartet hast. Du hältst den Patienten am Leben, flickst ihn wieder zusammen und erhältst einen Orden. Du wirst vom Opfer in den Rang einer Überlebenden befördert.«
Sally schüttelt den Kopf. Sie stellt sich stur. Melissa mag keine sturen Menschen. »Er muss ins Krankenhaus«, wieder holt sie.
»Und du musst endlich anfangen, deinen Job zu machen«, sagt Melissa.
»Sie verstehen mich nicht«, sagt Sally. »Er hat bereits eine Menge Blut …«
»Sally?«, sagt Joe, öffnet die Augen und blickt zu ihr auf. »Süße, süße, Sally«, sagt er, und Melissa durchzuckt ein Stich der Eifersucht, bis Joe fortfährt: »Süße Sally mit dem dicken Schwabbelbauch.« Dann grinst er, lacht ein paar Sekunden und schließt die Augen wieder.
Melissa lächelt. Guter alter Joe. »Flick ihn zusammen«, sagt sie.
»Selbst wenn ich es könnte, das hier ist keine sterile Umgebung. Er ist einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt, außerdem haben wir keine …«
»Sally«, sagt Melissa und spricht den Namen so scharf aus, dass Sally sich von Joe ab- und ihr zuwendet. »Tu einfach dein Bestes. Ich bin mir sicher, es wird ausreichen.«
»Und wenn es nicht ausreicht?«
»Dann schieß ich dir in deinen beschissenen Kopf.«
Kapitel 70
Schroder weigert sich, im Rettungswagen mitzufahren. Er sieht keinen Grund dafür. Ein gebrochener Arm – na und? Aber er lässt es zu, dass man ihm ein Pflaster auf die Stirn klebt und sein Bein verbindet. Die Schnitte sind nicht allzu tief. Sie müssen irgendwann genäht werden, aber das kümmert ihn jetzt nicht. Zumindest hat das Bluten aufgehört. Zur Hölle, letztes Jahr war er ein paar Minuten lang tot – gemessen daran, sind gebrochene Knochen und aufgerissene Haut keine große Sache.
»Kann ich was für den Arm haben?«, fragt er.
Der Rettungssanitäter ist ein Kerl in den Sechzigern, der aussieht, als hätte er in seinen Zwanzigern und Dreißigern als professioneller Wrestler gearbeitet. Ein Schrank von einem Mann, mit verunstalteter Nase und einer tiefen, rauen Stimme, einer von diesen Leg-dich-bloß-nicht-mit-mir-an-Stimmen. »Ja, Sie können sich den Bruch richten lassen und dann einen Gips für den Arm bekommen«, sagt er.
»Das werde ich auch«, sagt Schroder. »Aber erst später. Jetzt brauche ich erst mal was gegen die Schmerzen.«
»Die werden nur noch schlimmer«, sagt der Sanitäter. »Ich kann den Arm in eine Schlinge legen und Ihnen ein paar Schmerztabletten geben, das Zeug, das man auch in jeder Apotheke kriegt, aber nichts Stärkeres, und das wird Ihnen nicht allzu viel helfen. Besser, Sie nehmen was Stärkeres, steigen hinten in den Rettungswagen, und ich bring Sie ins Krankenhaus.«
»Ich nehme, was immer Sie mir geben können«, sagt Schroder.
Die beiden gegnerischen Lager der Demonstranten und die Studentengruppen haben sich aufgelöst, die Menge hat sich größtenteils zerstreut, daher wird Schroder von niemandem angerempelt, als er zurück zum Gerichtsgebäude läuft. Sein Arm liegt jetzt in einer Schlinge, und das fühlt sich schon viel besser an, als ihn einfach so an der Seite herabhängen zu lassen. Hutton hat ein Polizeisprechfunkgerät bei sich. Es gibt Zeugenberichte, die besagen, dass der gesuchte Rettungswagen den Ort des Geschehens verlassen hat, aber hier in der Gegend waren und sind jede Menge Rettungswagen unterwegs, und sie alle rauszuwinken und zu durchsuchen bedeutet, Leben aufs Spiel zu setzen, denn im Moment kann niemand genau sagen, nach welchem Wagen sie suchen. Joe ist irgendwo da draußen im Heck von einem dieser Wagen, auch wenn Schroder Zweifel hat, ob das überhaupt noch zutrifft. Vielleicht ist der Serienkiller bereits tot, und Schroder hofft, dass es so ist.
»Bisher haben wir zwei bestätigte Todesfälle«, sagt Hutton. »Jack Mitchell«, fügt er hinzu. »Er war ein guter Mann.«
»Er war … ach, Scheiße«, sagt Schroder. »Er hat versucht, der Sanitäterin zu helfen. Er wusste nicht, dass es Melissa war.«
»Sie hat ihn erschossen«, sagt Hutton.
»Himmel, ich hab überhaupt nichts davon mitbekommen. Wer ist der zweite?«
»Der zweite ist der Fahrer des ersten Wagens, der explodiert ist. Wir haben das Nummernschild überprüfen lassen. Der Wagen gehört einem gewissen Raphael Moore.«
Hutton ist ein wenig außer Atem, er muss sich bemühen, Schritt zu halten. Schroder schreitet aus wie ein
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