Opferzeit: Thriller (German Edition)
hat, ist einer von uns.«
»Und … und was soll das bedeuten?«
Hutton zuckt mit den Achseln. Schroder fragt sich, wie viel Zeit seither vergangen ist. Es fühlt sich an wie fünf Minuten, muss aber länger sein, denn er war eine Zeit lang ohnmächtig und anschließend stand er bei Kent, während die Sanitäter sie zu retten versuchten. Er blickt auf seine Uhr, doch die hat die Explosion nicht überlebt. Die Anzahl der versammelten Cops und der bereits abgesperrte Tatort lassen darauf schließen, dass es mindestens fünfzehn Minuten sein müssen. Möglicherweise sogar eine halbe Stunde. Er muss seine Frau anrufen. Ihr mitteilen, dass es ihm gut geht.
»Wie spät ist es?«, fragt er Hutton.
»Zehn Uhr vierzig.«
Also ist es über vierzig Minuten her, seit der erste Gewehrschuss fiel. Sie erreichen den Hintereingang des Gerichtsgebäudes. Jack Mitchell liegt mit dem Rücken auf dem Boden. Schroder starrt auf den toten Mann hinab, denkt an ein weiteres es könnte sein , in diesem Fall ist es ein was wäre gewesen, wenn , so wie in was wäre gewesen, wenn Melissa beschlossen hätte, Raphaels Wagen erst als zweiten in die Luft zu jagen. Noch vor einer Stunde wäre nichts davon vorstellbar gewesen, und auch jetzt fühlt es sich noch nicht wirklich real an.
»Also«, sagt Schroder, »wir haben einen Polizeibeamten, der in Raphael Moores Auto steigt, direkt vor dem Gebäude, von dem aus geschossen wurde, und kurz darauf …«
»Nein«, unterbricht ihn Hutton und schüttelt den Kopf.
»Du hast gerade gesagt …«
»Was wir hier haben, ist jemand, der als Polizeibeamter gekleidet in Raphaels Wagen steigt. Das bedeutet nicht unbedingt, dass er auch ein Polizist ist.«
Ein paar Sekunden denkt Schroder darüber nach. Das ist ein guter Einwand. Er hätte eigentlich selbst darauf kommen müssen. Die Schmerzen in seinem Arm werden heftiger, statt zu verschwinden. Der Sanitäter hat ihm nur vier Pillen gegeben, zwei für sofort und zwei weitere, um sie ein paar Stunden später einzunehmen. Er nimmt die beiden verbleibenden heraus, sammelt genug Spucke im Mund, wirft sie dann eine nach der anderen ein und schluckt. »In Ordnung, lass uns das durchdenken. Wenn es sich tatsächlich um Raphael handelt, der sich als Cop verkleidet hat, und er kommt aus dem Gebäude, von dem aus auf Joe geschossen wurde, dann ist wohl davon auszugehen, dass Raphael der Schütze ist. Richtig?«
»Das ist unsere momentane Hypothese«, sagt Hutton. »Wir glauben, dass er sich als Cop verkleidet hat, weil er wusste, dass nach dem Schuss überall Polizisten unterwegs sein würden. Für den Fall, dass diese das Gebäude durchkämmen würden, bevor er es verlassen konnte, wollte er sich unerkannt unter sie mischen. Er stieg in seinen Wagen, und dann machte es Bumm.«
Schroder blickt hinauf zu dem Bürogebäude, er fixiert das geöffnete Fenster mit dem Vorhang dahinter. Für einen Augenblick denkt er an einen Fall im letzten Dezember, wo ein Kerl mit Saugnäpfen an Händen und Knien vor einem ähnlich aussehenden Gebäude gefunden wurde, und seine Leiche sah genauso aus, wie man es erwartet, wenn jemand zehn Stockwerke herabstürzt und auf den Gehweg klatscht. Dann bemerkt Schroder, dass seine Gedanken abschweifen. Er muss sich auf den Fall konzentrieren, auf diesen Fall, nur auf diesen, aber es ist schwierig. »Lass uns nachschauen gehen«, sagt er.
»Hör zu, Carl, ich verstehe ja, dass du über die ganzen Ereignisse vergessen hast, dass du kein Cop mehr bist. Bis jetzt war das in Ordnung, aber du kannst auf keinen Fall da hochgehen.«
Schroder will ihm widersprechen, obwohl er genau weiß, dass Hutton recht hat. Trotzdem widerspricht er ihm. »Komm schon, Wilson, ich kenne den Schlächter-Fall besser als jeder andere. Du brauchst meine Meinung zu diesem Fall.«
Hutton nickt. »Bitte nimm das jetzt nicht persönlich, okay, denn in diesem Fall haben wir uns alle nicht gerade mit Ruhm bekleckert, aber du hattest all die Jahre, die Joe auf freiem Fuß war, um dir eine Meinung zu diesem Fall zu bilden, und du hattest zwölf Monate, um dir eine Meinung zu dem Melissa-X-Fall zu bilden, daher ist deine Meinung im Moment nicht wirklich gefragt.«
Diese Bemerkung trifft Schroder wie ein Schlag in die Magengrube, und er nimmt sich einen Moment, um sich eine Entgegnung zu überlegen, kommt aber auf nichts anderes als scheiß auf dich, Hutton , wobei die traurige Wahrheit ist, dass Hutton recht hat. Natürlich hat er recht. Wenn er nicht recht hätte, dann
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