Opferzeit: Thriller (German Edition)
und ihm zuhört. Zunächst glaubt sie, dass er aufgrund der Medikamente immer noch wirres Zeug redet. Zumindest hört es sich ganz danach an. Fünfzigtausend Dollar. Detective Calhoun. Jonas Jones, dieser bescheuerte Hellseher, den sie im Fernsehen gesehen hat. Ein Ausflug in den Wald. Aber Joe scheint fest überzeugt von dem, was er sagt, und das überträgt sich auf sie. Dann erinnert sich Melissa an die Unterlagen des TV-Senders, die sie in Schroders Wagen entdeckt hat. Jetzt ergibt das Ganze einen Sinn. Fünfzigtausend Dollar sind eine Menge Geld. Sie hat die vierzig gut brauchen können, die sie vor drei Monaten von Sally bekommen hat, und weitere fünfzig könnten ihnen bei ihrem Start in ein neues Leben sicher helfen.
Aber sie sollten jetzt einfach zu ihrem Haus zurückkehren. Sie sollten die Babysitterin entlassen. Dann für die nächsten paar Monate nicht vor die Tür gehen. Sie sollten Joes Haare länger wachsen lassen. Sie färben. Dafür sorgen, dass er etwas Gewicht zulegt. Ihm ein anderes Äußeres verschaffen, soweit das mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, eben möglich ist. Er soll eine Beziehung zu Abigail aufbauen. Später werden sie dann versuchen, sich falsche Ausweise zu besorgen und das Land zu verlassen. Es wird sicher schwierig sein, das schon, aber nicht unmöglich. Sie müssen einfach nur warten, bis die Fahndung nach ihnen einschläft.
»Das Geld wurde also auf das Konto deiner Mutter überwiesen«, sagt Melissa.
»Ja.«
»Das bedeutet, deine Mutter muss zur Bank gehen und es abheben. Wir können nicht riskieren, dass sie sich verplappert. Zu gefährlich.«
Joe schüttelt den Kopf. »Du kennst meine Mutter nicht«, sagt er. »Sie vertraut keiner Bank. Sie hat nur deshalb ein Konto, weil es ohne einfach nicht geht, aber sie hasst Banken, sie hasst sie so sehr, dass sie jeden Montagmorgen dorthin geht, ihre Rente in bar abhebt, sie mit nach Hause nimmt und unter ihrer Matratze versteckt. Das macht sie schon seit Jahren so.«
»Glaubst du, sie ist heute Morgen dorthin und hat die fünfzigtausend Dollar abgehoben?«, fragt sie, wobei sie sich die Situation vorzustellen versucht, und aus irgendeinem Grund hat sie eine alte Frau vor Augen, die einen großen, mit Dollarzeichen bedruckten Sack über der Schulter trägt. Aber natürlich ist das nicht die Realität. Fünfzigtausend Dollar in Einhundertdollarscheinen, das sind lediglich fünfhundert Scheine. Dieser Betrag hat in jeder Handtasche Platz.
»Ohne Zweifel«, sagt Joe. »Das Geld liegt in ihrem Haus unterm Bett und wartet darauf, dass wir es uns holen.«
»Du bist dir ganz sicher?«
»Ja«, sagt er.
Fünfzigtausend Dollar – ist diese Summe das Risiko wert?
Sie beschließt, dass dem so ist.
Kapitel 76
Schroder und Hutton führen die Jagd an. Hutton weiß das, denn als er die neuesten Informationen durchgibt, erklärt man ihm, die Verstärkung brauche noch zehn Minuten, bis sie bei ihnen ist. Während Hutton das alles am Telefon organisiert, ist Schroder wieder einmal dabei, seine Taschen nach den Koffeintabletten zu durchsuchen. Nicht die geringste Spur. Definitiv weg. Er spürt, dass er bald Kopfschmerzen bekommen wird.
»Ein Team ist gerade bei Raphaels Haus eingetroffen«, sagt Hutton.
»Und?«
»Sie haben interessante Dinge gefunden. Es deutet zwar nichts darauf hin, dass er mit Melissa zusammengearbeitet hat. Aber dafür vieles, dass er alles andere als ein guter Samariter war.«
»Ja? Was hat er angestellt?«
»Joes Anwälte«, sagt Hutton. »Es sieht ganz danach aus, als hätte Raphael sie umgebracht.«
»Scheiße«, sagt Schroder.
»Wir haben auch ein paar Leute zum Haus von Joes Mutter geschickt in der Hoffnung, dass er dort irgendwann aufkreuzt, oder dass sie uns einen Hinweis gibt, aber sie ist spurlos verschwunden.«
Die beiden Männer widmen sich wieder ihren eigenen Gedanken. Schroder denkt über seine letzte Begegnung mit Sally nach. Wie lange liegt das jetzt zurück? Es muss letztes Jahr gewesen sein, kurz nachdem Joe verhaftet wurde. Wenige Tage nachdem Sally die Belohnung erhielt, hat sie ihren Job gekündigt. Sie wollte ihre Ausbildung fortsetzen. Sie hat keinen Kontakt zu irgendjemandem von ihrer früheren Arbeitsstelle gehalten, und warum sollte sie auch? Seit der Nacht, in der sie herausfanden, wer Joe war, behandelten sie Sally wie Dreck. Sie nahmen sie fest, steckten sie in ein Verhörzimmer, weil sie ihre Fingerabdrücke auf einem Beweisstück gefunden hatten. Schließlich stellte
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