Opferzeit: Thriller (German Edition)
sind. Es ist nämlich so, dass in zwei Minuten eine Menge passieren kann. Menschen können sterben. Joe und Melissa können hören, wie die Polizei eintrifft, sie können der Sache ein Ende bereiten und jeden töten, der da drinnen bei ihnen ist. Also macht er ein paar Schritte auf das Haus zu. In seinem Kopf spürt er einen klopfenden Schmerz, ein Poch-Poch-Pochen, und dann wird ihm bewusst, dass es das Geräusch seiner Schritte auf dem Pflaster ist, während er auf das Haus zugeht.
»Gottverdammt«, sagt Hutton, aber Hutton ist übergewichtig, er hat seit Jahren kein Fitnessstudio mehr von innen gesehen, das und all die Extramahlzeiten lassen ihn zurückfallen, und selbst mit seinem gebrochenen Arm hängt Schroder ihn noch ab.
Schroder erreicht das Haus. Der Transporter steht mit dem Heck zum Haus in der Auffahrt, und es ist deutlich zu sehen, dass niemand in der Fahrerkabine sitzt. Kents Pistole befindet sich jetzt wieder in seiner Hand. Die Heckklappen des Transporters stehen offen, er nähert sich von der Seite, späht hinein, und auch das Heck des Wagens ist leer, bis auf etwas Blut an den Wänden. Hutton ist nur noch ein Haus entfernt, doch er bleibt jetzt stehen. Nicht wegen der körperlichen Anstrengung, sondern weil es unweigerlich zur Konfrontation kommen würde, wenn er Schroder einholt. Immer noch keine Sirenen zu hören. Entweder sie haben sich verspätet, sind im Verkehr stecken geblieben oder sie fahren still.
Es ist ein einstöckiges Häuschen mit verkleideten Wänden und einem Dach aus Betonschindeln. Der Garten wirkt aufgeräumt und gepflegt, aber wenig reizvoll. Ein kopfloser Gartenzwerg steht neben der Treppe zur Eingangstür. Die Eingangstür ist geschlossen. Schroder späht durch das Fenster ins Wohnzimmer. Dort drinnen ist niemand zu sehen. Er duckt sich und lauscht, aber es ist nichts zu hören. Er schleicht zur Seite des Hauses, schaut durch ein weiteres Fenster in denselben Raum, diesmal aus einem anderen Blickwinkel. Das nächste Fenster gehört zur Küche. Sie ist klein, aber aufgeräumt. Er versucht es an der Hintertür. Sie klappert, ist jedoch verschlossen. Er legt sein Ohr an die Tür und lauscht. Nichts. Keine Geräusche im Inneren. Keine Sirenen, die sich auf der Straße nähern. Keine Spur von Hutton. Er bewegt sich weiter um das Haus herum, und jetzt linst er durch das Schlafzimmerfenster. Auf dem Boden entdeckt er einen reglosen Körper. Es ist Sally. Sie liegt mit dem Gesicht nach unten. Er kann nicht sagen, ob sie tot oder lebendig ist, aber er weiß, worauf er wetten würde. Das Bett ist mit Blut besudelt. Überall im Raum sind Verbands material und medizinische Instrumente verstreut. Außerdem einige blutige Kleidungsstücke. Die Uniform eines Rettungs sanitäters. Joe und Melissa sind verschwunden, vermutlich in Sallys Auto.
Er läuft zur Eingangstür. Er dreht den Knopf. Sie ist nicht abgesperrt. Er stößt sie auf, läuft rasch ins Schlafzimmer, die Waffe im Anschlag. Er kniet sich neben Sally und muss die Pistole auf den Boden legen, damit er zwei Finger an ihren Hals halten kann. Er sucht nach einem Puls und findet ihn, gleichmäßig und stark. Er rollt sie auf den Rücken. Auf ihrer Stirn prangt ein großer Bluterguss, und ein wenig Blut sickert daraus hervor.
»Sally«, sagt er und rüttelt sie leicht mit seinem intakten Arm. Er fragt sich, warum sie Sally am Leben gelassen haben. Er fragt sich, warum Melissa und Joe menschlichem Leben plötzlich einen Wert beimessen. »Sally?«
Sally bewegt sich nicht. Also gibt er ihr einen leichten Klaps auf die Wange und dann noch einen etwas festeren. »Komm schon, Sally, es ist wichtig.«
Sally scheint das anders zu sehen. Er läuft in die Küche. Unterm Waschbecken findet er einen Eimer. Er füllt ihn mit kaltem Wasser. Er denkt an die Pistole, und dann an das, was in den nächsten Minuten hier geschehen wird. Er zieht sie heraus, wickelt sie in ein Geschirrhandtuch und schiebt sie in ein Regal neben dem Spülbecken. Dann trägt er das Wasser zurück ins Schlafzimmer. Sein Arm beginnt zu erwachen.
»Tut mir leid«, sagt er zu ihr und schüttet ihr das Wasser ins Gesicht. Nach einem halben Eimer ist sie wach und beginnt zu prusten, und als der Eimer leer ist, hat sie sich auf die Seite gerollt und hustet.
»Sally«, sagt er und hockt sich neben sie.
»Detective Inspector Schroder?«, sagt sie.
»Sie sind jetzt in Sicherheit«, erklärt er ihr.
»Wo sind die beiden?«, fragt sie. »Haben Sie sie verhaftet?«
»Nein«,
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