Opferzeit: Thriller (German Edition)
rückwärts, klettern in die Rettungswagen, dann fährt der Rettungswagen los. Der Wachmann lässt die Aufzeichnung in normaler Geschwindigkeit wieder vorwärts lau fen, ohne dass ihm jemand die Anweisung dazu geben muss. Der Rettungswagen kommt angefahren. Unscharfe Melissa hilft Pixel-Joe aus dem Heck des Rettungswagens. Der Anblick der beiden – selbst wenn er nicht sehr detailgenau ist – sorgt dafür, dass sich Schroder die Haare aufstellen. Die beiden steigen in den dunkelblauen Transporter. Sie fahren weg. Dann nichts mehr, nur ein geparkter Rettungswagen, weitere Autos, und das Leben läuft weiter wie gehabt. Das Nummernschild des Lieferwagens ist nicht zu erkennen.
»Das hilft uns nicht weiter«, sagt Hutton, »trotzdem gebe ich eine Fahndungsmeldung raus. Ein dunkelblauer Transporter – schwer zu sagen, welches Modell. Ich meine, möglicherweise ist es vergebens, vielleicht haben sie den Wagen erneut gewechselt, trotzdem gebe ich eine Fahndungsmeldung raus. Vielleicht haben wir ja Glück.«
Glück. Da ist es wieder, dieses Wort.
»Spulen Sie noch weiter zurück«, weist Schroder den Wachmann an. »Ich möchte sehen, wann dieser Transporter hier abgestellt wurde.«
Der Wachmann nickt begeistert, als wäre das die beste Idee der Welt. Er lässt die Aufzeichnung wieder rückwärts laufen, springt dabei in Intervallen von fünf Minuten. Eine Stunde vor Eintreffen des Rettungswagens steht der Tran porter plötzlich da. Der Wachmann springt noch einmal einige Minuten vor, dann lässt er das Band Sekunde für Sekunde ablaufen, bis sie Melissa rückwärts laufen und dann einsteigen sehen. Er drückt auf Play.
»Wo geht sie hin?«, fragt Schroder.
»Schwer zu sagen, möglicherweise hat sie vor, das gesamte Gebäude zu umrunden. Vorne gibt es ein paar weitere Parkplätze fürs Personal. Aber vielleicht geht sie auch nur zum Personaleingang.«
»Haben Sie eine Kamera über dem Personaleingang«, fragt Hutton.
»Klar doch, sie hängt dort seit etwa zwei Jahren.«
»Geben Sie mir ein Bild davon, das zeitlich mit dieser Aufzeichnung hier synchronisiert ist«, sagt Schroder und tippt gegen den Monitor.
Der Wachmann hackt erneut auf der Tastatur herum und synchronisiert die Aufzeichnung der ersten Kamera mit der der zweiten. Es ist derselbe Eingang, durch den Schroder und der Arzt vorhin das Krankenhaus verlassen haben. Sie sehen Melissa den Flur betreten. Diesmal ist die Kamera viel näher dran, daher ist die Qualität wesent lich besser. Der Wachmann wechselt weiter die Kameras, und sie folgen Melissa auf ihrem Weg durch die Notaufnahme bis zur Anfahrtsbucht der Rettungswagen. Schroder kann es kaum fassen, wie selbstbewusst sie wirkt, wie lässig sie sich bewegt, als ob sie hierher gehören würde. Sie hält ein paar Minuten inne, hantiert mit ihrem Handy herum, auch wenn Schroder vermutet, dass sie lediglich Zeit verstreichen lassen will und dabei ihre Umgebung beobachtet. Dann plaudert sie mit den beiden Sanitätern, die sie vorhin bewusstlos gesehen haben, und klettert hinten in deren Rettungswagen. Schroder spürt das Pochen einer Ader auf seiner Stirn. Er spürt, wie das Adrenalin durch seine Blutbahn schießt. Er hat das Gefühl, dass er, wenn es sein müsste, ein Auto hochheben und umwerfen könnte, und das sogar mit seinem gebrochenen Arm.
»Wessen Magnetkarte verwendet sie da?«, fragt Schroder und deutet auf den Monitor, aber kaum hat er die Frage gestellt, weiß er schon die Antwort. Im Grunde hätte er bereits darauf kommen müssen, als er noch draußen auf dem Parkplatz war.
»Das ist eine wirklich gute Frage«, sagt der Wachmann, denn er kennt Sally nicht; er weiß nicht, dass sie mit Joe zusammengearbeitet hat, was einer der Gründe dafür ist, dass er am Ende geschnappt wurde, und dass Sally letztes Jahr ihre Schwesternausbildung wieder aufgenommen hat und jetzt den praktischen Teil im Krankenhaus absolviert. Die Finger des Wachmanns fliegen über die Tastatur. Einen Augenblick später erscheinen eine Ausweiskarte und ein Foto auf dem Monitor, Schroder blickt auf das Foto von Sally, Hutton blickt auf das Foto von Sally, und dann blicken Schroder und Hutton einander an.
»Scheiße«, sagt Hutton.
»Ich weiß«, sagt Schroder.
»Dann mal los«, sagt Hutton, und die beiden Männer rennen aus der Tür und zurück auf den Parkplatz.
Kapitel 75
Joe ist ziemlich schweigsam, während ihm Melissa ein neues Hemd anzieht. Sie hat vergessen, wie seine Haut riecht. Vergessen, wie er sich anfühlt.
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