Opferzeit: Thriller (German Edition)
Hand, damit er innehält. »Aber vielleicht schlafe ich erst mal eine Nacht darüber. Allerdings helfen mir zwanzig Riesen nicht beim Nachdenken. Ja, ich habe gerade selbst eine Vision. Ich spüre … Ich spüre, dass es meiner Hilfsbereitschaft auf die Sprünge helfen würde, wenn es fünfzig Riesen wären.«
»Auf keinen Fall«, sagt Schroder.
»Auf jeden Fall. So wie ich das sehe, Carl, hat Sally nach meiner Verhaftung fünfzig Riesen kassiert, richtig?«, frage ich, und das stimmt. Letztes Jahr war auf meine Ergreifung eine Belohnung von fünfzigtausend Dollar ausgesetzt. Und irgendwie hat The Sally, die übergewichtige, gottesfürchtige Hausmeisterin aus dem Polizeirevier, diese Belohnung kassiert. Irgendwie, durch eine Serie blöder Missgeschicke, hat Sally herausgefunden, wozu die Polizei nicht in der Lage war, und das hat sie zu meiner Wohnung geführt. »Wenn Sie schon mit Geld um sich werfen, dann will ich auch einen angemessenen Anteil davon.«
Er antwortet nicht.
»Hyperpathetisch sollten Sie die Verträge, von denen Sie erzählt haben, besorgen. Hyperpathetisch stelle ich für fünf zigtausend vielleicht Vermutungen an, wo sich Detective Calhoun befinden könnte.«
»Du willigst also ein?«
Ich zucke mit den Schultern. Schon möglich, rein hypothetisch.
»Die Uhr läuft, Joe. Bis morgen brauche ich eine Antwort.«
»Ich werd’s mir überlegen«, sage ich. »Kommen Sie morgen wieder und bringen Sie die Verträge mit.«
Schroder steht auf. Er nimmt sein feuchtes Jackett, zieht es jedoch nicht an, sondern legt es über seinen trocken gebliebenen Arm. Dann geht er zur Tür und hämmert dagegen. Sie öffnet sich, und ohne einen Abschiedsgruß verschwindet er nach draußen. Ich warte im Zimmer darauf, dass man mich zurück zu meiner Zelle bringt. Meine Welt besteht aus Warten, und jetzt gibt es etwas Neues, über das ich dabei nachdenken kann – die Macht, die man sich an einem Ort wie diesem für fünfzigtausend Dollar kaufen kann.
Kapitel 6
Ja, sie hatte einen Plan. Einen guten Plan. Einen Plan mit zwei Personen. Da war sie, und da war er, Person Nummer zwei ihres Zweistufenplans. Ein Typ namens Sam Winston. Aber Sam hat sie hängen lassen. Vielleicht ist das typisch für Männer mit Mädchennamen. Sam war früher in der Armee. Sie hat ihn im Sommer kennengelernt, als er versuchte, in ihr Haus einzubrechen.
Sie hätte ihn beinahe getötet, aber irgendwas fand sie an ihm; das Gleiche, was andere Leute an kranken Kätzchen und dreibeinigen Hunden finden, etwas, das in einem das Bedürfnis weckt zu helfen. Und eigentlich hatte er auch gar nicht versucht, in ihr Haus einzubrechen – wie sich herausstellte, hatte er dort bis vor ein paar Jahren selbst gewohnt, bevor Drogen ihm all sein Geld und einen Großteil seiner Erinnerung geraubt und seine Ehefrau verjagt hatten. Und dann war er zurückgekehrt. Er war betrunken und wollte ums Verrecken nicht akzeptieren, dass sein Schlüssel nicht ins Schloss passte.
So ist Christchurch nun mal – eine kleine Welt, eine Welt voller Zufälle, und täglich laufen sich Menschen auf diese Weise in die Arme.
Fünf Jahre zuvor war Sam aus der Armee entlassen worden. Er war nicht im Einsatz gewesen, es sei denn, man zählt es als Einsatz, dass er zugedröhnt mit einem Tanklaster in die Kantine gerast war und ein halbes Dutzend Männer verletzt hatte. Aber niemand ist dabei gestorben , erzählte er ihr stolz. Sam war wütend auf die Welt und wütend auf das Leben, allerdings erklärte er ihr nie, weshalb genau er eigentlich wütend war. Gerne folgte er ihr und tat, was sie verlangte. Er war tatsächlich wie ein Hund, der nur noch drei Beine hatte. Ja, wie ein Haustier. Bis er dahinterkam, wer sie war. Zu dem Zeitpunkt hatten sie schon gut zwei Monate an ihrem Plan gearbeitet, Joe zu erschießen. Aber dann wurde er plötzlich gierig. Sie konnte förmlich sehen, wie es geschah. Die Nachrichten liefen, und die Polizei hatte ihren richtigen Namen herausgefunden. Er starrte auf die Fotos von ihr, die auf dem Bildschirm erschienen, und dann zu ihr, und seine Augen weiteten sich, als würden dahinter mit einem Klingeln die fetten Dollarzeichen einer Registrierkasse emporschnellen.
Danach lief es mit Sam nicht mehr. Das ist vor einer Woche gewesen. Sie musste ihn verlassen und den Blick nach vorne richten. Also hat sie ihn, wie es jeder gutherzige Haustierbesitzer getan hätte, sanft entschlummern lassen.
Am Montag beginnt der Prozess. Heute ist Donnerstag. Sie will
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