Opferzeit: Thriller (German Edition)
anderen nackten Männern zu duschen – doch aus irgendeinem Grund ertönt in meinem Kopf die Stimme meines Vaters und erzählt mir, dass das nicht so sein muss. Ich bin mir nicht sicher, worauf er hinauswill – aber bisher hörte ich jedes Mal, wenn ich nackt vor diesen Männern stand, in meinem Kopf seine Stimme. Es ist erniedrigend.
Die Duschen sind wie die Duschen in einer Turnhalle, ein einzelner großer, rundum gefliester Raum mit vielen Duschköpfen und Wasserhähnen. Im Betonboden befindet sich ein Dutzend Abflüsse. Die Luft ist von Dampf erfüllt und das Wasser ein wenig zu heiß, und es gibt nur wenige Seifestücke, sodass wir sie uns teilen müssen, was echt widerlich ist, da hin und wieder Schamhaare daran kleben. Wir stehen ein paar Minuten unter der Dusche, als die Männer direkt links und rechts von mir plötzlich noch weiter nach links und rechts treten und ich alleine bin.
So allein nun auch wieder nicht, denn Caleb Cole kommt zu mir.
»Ich habe mich entschieden«, sagt er.
Das Wasser prasselt auf uns herab. Dampf steigt auf. Die Luft ist stickig, und mir ist ein wenig schwindelig. »Und?«
»Ich werde dich töten«, sagt er, und seine Faust zuckt so schnell vor, dass ich es nicht mal mitbekomme, erst als sie mich mit voller Wucht in die Magengrube trifft und ich keine Luft mehr kriege und auf die Knie sinke. Caleb tritt einen Schritt zurück, hebt die Hand an die Brust und hält sie mit der anderen fest.
»Hey, was ist da los?«, fragt einer der Wärter, aber der Dampf ist zu dicht, um etwas zu erkennen, und der Wärter ist zu trocken und zu faul, um wirklich nachzuschauen.
»Er ist ausgerutscht«, ruft Cole. »So was kommt unter der Dusche schon mal vor.«
Ich schaue zu ihm auf, bleibe aber hocken, was keine sehr angenehme Höhe ist in einem Raum voller nackter Männer, es sei denn man ist Fußballspieler.
»Stimmt das?«, ruft der Wärter zurück.
»Ja«, sage ich. »Ich bin ausgerutscht.«
Der Wärter antwortet nicht.
»Sobald ich etwas in die Hände kriege, woraus ich eine Klinge machen kann, schlitze ich dich auf«, sagt Caleb, und, den Blick auf mich gerichtet, fängt er an, sich zu waschen, sodass die Narben auf seinem Körper unter dem Seifenschaum verschwinden. »Wie findest du das?«
Ich finde, dass ich mir ebenfalls was Spitzes suchen muss.
»Ich kann dir Geld geben«, sage ich. »Zwanzigtausend.«
Er hört auf, sich einzuseifen. Sein Kopf fährt herum, und er kneift die Augen zusammen. »Wovon redest du?«
»Damit du mich in Ruhe lässt«, sage ich. »Ich zahle dir zwanzigtausend Dollar. Mit dem Geld kannst du draußen jemanden für den Job anheuern, den du sonst erst in zwanzig Jahren erledigen könntest.«
Er nickt langsam und zieht dabei die Mundwinkel nach unten. »Okay«, sagt er.
»Okay, du nimmst das Angebot an?«
Er schüttelt den Kopf. »Okay, ich denke darüber nach«, sagt er. »So was will gut überlegt sein.« Er spült die Seife ab. »Ich sage dir morgen Bescheid«, sagt er, und dann verschwindet er wieder im Wasserdampf, und ich bleibe alleine auf den Knien zurück, während ich mich frage, wie meine Chancen stehen, den Prozess noch zu erleben.
Kapitel 14
Das Schicksal meint es gut mit ihr. Das hätte Melissa nicht gedacht, als sie Sam Winston zwei Kugeln verpassen und heute noch ein paarmal öfter abdrücken musste, aber das hat sie zu der Selbsthilfegruppe geführt; denn hätte es das Schicksal nicht gut mit ihr gemeint, dann hätte das Treffen an irgendeinem anderen Tag der Woche und nicht heute stattgefunden. Statistisch gesehen lagen ihre Chancen bei eins zu sieben. Oder andersherum, standen die Chancen bei sechs zu sieben, dass das Treffen heute nicht stattfand. Das ist kein Glück, sondern Schicksal. Das Schicksal ist ihr wohlgesonnen. Bisher war ihr Leben von Schicksalsschlägen bestimmt gewesen. Ihre Schwester, sie selbst, es sind lauter schreckliche Dinge passiert. Und jetzt passieren lauter gute Dinge. Etwa, dass sie vorhin das Haus gegenüber dem Gerichtsgebäude gefunden hat. Es wurde nicht fertiggestellt, weil die Baufirma pleiteging, wie eine Menge Baufirmen heutzutage. Sieben Stockwerke halbfertiger Büros, und aus vielen hat man einen unverstellten Blick auf die Rückseite des Gerichtsgebäudes. Sie beschließt abzuwarten, was das Schicksal heute Abend noch für sie erledigen kann, bevor sie sich darin fügt.
Den Treffpunkt der Selbsthilfegruppe ausfindig zu machen, war nicht schwer. Drei Minuten im Internet reichten aus. Es handelt
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