Opferzeit: Thriller (German Edition)
dem wir uns nie ganz sicher waren, ob Joe es tatsächlich getötet hat«, sagt Hutton.
Einiges bei diesem speziellen Mord passte nicht zu Joes Muster. Joe wurde dazu befragt, doch wie bei allen Morden blieb er dabei, dass er sich an nichts erinnern könne. Aber vor Gericht wird man ihm diese Geschichte nicht abkaufen. Ausgeschlossen. Und dann fällt Schroder ein, was der Drehbuchautor gesagt hat, dass man nicht zu viel Vertrauen in die Menschen haben soll. Bei der Justiz kann man nie wissen. Schroder macht sich auf den Weg zu seinem Wagen.
»Wir möchten, dass du vorbeikommst«, sagt Hutton. »Wenn es eine Verbindung zum Schlächter gibt, solltest du hier sein. Das war dein Fall. Vielleicht entdeckst du irgendwas, was uns weiterbringt.«
»Bin schon unterwegs«, sagt er und legt auf.
Kapitel 13
Die Teilnahme am Sport ist Pflicht, es sei denn man wurde gerade von einem oder mehreren Insassen niedergestochen oder vergewaltigt, was für normale Häftlinge ebenfalls Pflicht ist. Alle dreißig von uns sind draußen im Regen und blicken auf die Drahtzäune und die Wachposten, die wie kleine Türme der Flugüberwachung wirken. Man kann nichts unternehmen außer auf dem Hof seine Runden zu drehen, was wohl der Witz am Sport ist. In Gegenwart dieser Leute fühle ich mich am ehesten wie ein Mensch. Wenn Schroder jetzt hier wäre und mich sehen könnte, würde er das erkennen. Würde erkennen, dass ich unschuldig bin.
Ich gehe um den Hof herum und spüre den Regen in meinem Gesicht, lasse ihn meine Klamotten durchweichen, denn nach dem Sport ist Duschen angesagt, und nach dem Duschen am Donnerstag gibt es einen frischen Overall. Eine Stunde am Tag kann ich mir die Füße vertreten, aber das reicht nicht, und ich darf mit ihnen auch nicht zu all den hübschen Frauen marschieren, die diese Stadt zu bieten hat. Außerhalb der Mauern ist die Luft vom Lärm der Arbeitsgeräte erfüllt, Funken sprühen, während Winkelschleifer Stahl schneiden und Schlagbohrer Löcher in Betonsteine bohren; es wird ein neuer Gefängnistrakt errichtet, um mehr Raum für die wachsende Kundschaft zu schaffen. Ein paar der Jungs fangen an zu kicken. Das Ganze würde noch schwuler wirken, wenn sie sich nach einem Tor die Hemden vom Leib reißen und sich alle umarmen würden. Mein Dad war ein großer Fußballfan. Andere Häftlinge stemmen Gewichte, spannen ihre Muskelberge an, sodass sich durch die Anstrengung ihre Tatoos verformen.
Melissa hat meine Mutter besucht.
Daran muss ich denken, als Caleb Cole mich von der anderen Hofseite aus anstarrt, mit einem Blick, der mir sagt, dass es noch ein weiter Weg ist, bis er sich mit meinem Plädoyer auf Unzurechnungsfähigkeit anfreunden wird. Ich versuche, ihn nicht anzusehen, doch alle paar Minuten frage ich mich, ob er mich immer noch beobachtet, also blicke ich in seine Richtung, nur um festzustellen, dass er genau das tut.
Ich schaue durch den Zaun, hinter dem sich weitere Zäune und Felder befinden. Hinter dem letzten Zaun liegt die Freiheit. Joe braucht diese Freiheit. Eigentlich sollte Joe nicht an einem Ort wie diesem eingesperrt sein. Joe muss seine Flügel ausbreiten und fliegen.
Meine Gedanken wandern zu meiner Mutter und Walt, leider, denn ich frage mich, wie sie ihre Flitterwochen verbringen werden. Bei dem Gedanken daran wird mir übel. Wie Walt mit seinen faltigen Händen meine Mutter berührt, wie die faltige Haut meiner Mutter an Stellen herunterhängt, die kein Mann außer Walt sehen will, und wie sich all die Falten, ähnlich wie bei einem Puzzle, ineinanderfügen. Langsam fange ich an zu glauben, dass ich diese Gedanken nur vertreiben kann, wenn ich über den Hof marschiere und Caleb Cole eine angespitzte Zahnbürste in die Hand drücke. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Bücher, die Mom mir mitgebracht hat.
Von meiner Freundin.
Von Melissa.
Die Plastiktüte wurde mir von den Wärtern abgenommen, aber die Bücher durfte ich behalten. Die Tüte wurde als Waffe eingestuft. Die Bücher als Scherz. Angesichts der Titel musste Adam lachen. Ich bin mir sicher, dass er immer noch darüber lacht. Melissa hat meine Mutter besucht und ihr eine Handvoll Liebesromane für mich mitgegeben. Aber warum?
Mir fallen nur zwei Gründe ein. Erstens, sie weiß, dass ich verrückt nach Liebesromanen bin. Seit ich zwei Nächte mit ihr verbracht habe und seit sie mich die Woche davor beobachtet hat, ist ihr klar, dass ich tief in meinem Herzen ein echter Romantiker bin. Die Bücher sind ein
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