Opferzeit: Thriller (German Edition)
auch. Und andere Angehörige von Opfern. In Ihrer Gruppe sind wahrscheinlich ein Dutzend Leute, die alle als Zeugen aussagen werden.«
Raphael nickt langsam. Etwa alle zehn Sekunden, wenn der Wind den Regen zur Seite bläst, werden sie nass gespritzt. Er überlegt, wie es wohl sein wird, als Zeuge auszusagen. Er hat oft darüber nachgedacht. Und sich gefragt, wie nahe er vom Zeugenstand aus an Joe herankommen würde, bevor man ihn aufhält. Wie schwer es wohl wäre, eine Waffe ins Gebäude zu schmuggeln. Er hat sich überlegt, ein Messer aus Holz oder Knochen zu schnitzen. Und sich gefragt, wie viele Männer nötig wären, um ihn auf zuhalten. All das waren nur Fantasievorstellungen, und er wusste, diese Gruppe zu gründen und anderen zu helfen war das Beste, was er tun konnte. Und nächste Woche werden sie demonstrieren gehen.
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragt Raphael. »Glauben Sie, einige aus der Gruppe sind ebenfalls in Gefahr?«
»Wir können es nicht ausschließen«, sagt Kent.
»Wer könnte es auf uns abgesehen haben?«
»Wir wissen es nicht«, sagt Schroder, aber Raphael nimmt ihm das nicht ab. Sein Tonfall lässt ihn glauben, dass Schroder eine Vermutung hat.
»Was kann ich also für Sie tun?«, fragt Raphael.
»Eigentlich hatten wir gehofft, hier zu sein, bevor das Treffen zu Ende ist«, sagt Schroder, »um mit allen Teilnehmern zu reden.«
»Also, von einigen kenne ich die Namen«, sagt Raphael, »ich kann eine Liste machen. Am Montag treffen wir uns alle wieder.«
»Zu einer weiteren Sitzung?«, fragt Kent.
»Nein«, sagt Raphael. »Wir treffen uns vor dem Gerichtsgebäude. Wir werden gegen die Leute demonstrieren, die gegen die Befragung zur Todesstrafe demonstrieren. Etwa dreißig Leute aus der Gruppe werden da sein, und jeder wird wahrscheinlich jemanden mitbringen, und bestimmt werden sowieso noch weitere Leute kommen. Vielleicht mehrere Hundert«, sagt er, aber in Wirklichkeit hofft er, es sind Tausende, und er wüsste keinen Grund, warum es nicht so viele werden sollten. Wie er vorhin schon dachte: Dieses Land ist ein Land für schlechte Nachrichten. All die schlechten Nachrichten haben bei vielen Leuten einen schlechten Nach geschmack hinterlassen – es gibt eine Menge Wut, die sich Luft machen will, und eine Menge Leute, die zur Gegen demonstration kommen werden.
»Und Sie führen den Protest an?«, fragt Kent.
»Nein«, sagt Raphael. »Ich nehme nur daran teil. Es gibt keinen Anführer.«
»Aber Sie helfen, ihn zu organisieren«, sagt Kent.
»Ich tue nur das, was ein besorgter Bürger tun sollte.«
»Sie wissen, dass so eine Demonstration leicht aus dem Ruder laufen kann«, sagt Kent mit strenger Stimme. »Auf beiden Seiten.«
Raphael runzelt die Stirn. »Wir müssen uns Gehör verschaffen«, sagt er. »Und es ist unser gutes Recht, friedlich zu demonstrieren. Unser verfassungsmäßiges Recht. Leute wie Joe Middleton sind der Grund dafür, dass das Gesetz verabschiedet werden muss«, fügt er mit ruhiger Stimme hinzu, aber innerlich brüllt er sie an. »Ich will die Sache nach Kräften unterstützen. Das haben wir alle vor.«
»Und wenn jemand verletzt wird?«, fragt sie. »Was dann?«
»Wir sind alle Opfer«, sagt Raphael. »Wir wurden bereits verletzt. Wir tun nichts weiter, als friedlich gegen die Gegner der Todesstrafe zu demonstrieren und gegen die aktuelle Rechtslage. Ich bin mir sicher, dass genug Polizei vor Ort sein wird, um alle in Schach zu halten«, sagt er, aber um ehrlich zu sein, ist er sich da nicht sicher. Der Mangel an Polizeikräften ist der Stadt in den letzten paar Jahren nicht gut bekommen – und vielleicht wird es bei der Demonstration am Montag nicht anders sein. Aber es ist nicht seine Aufgabe, in der Stadt für Sicherheit zu sorgen. Sondern die von Kent. Und von Leuten wie Kent. Und von Leuten wie Schroder.
»War Tristan Walker Teil der Bewegung?«, fragt Kent. »Wollte er auch kommen?«
Es ist das erste Mal, dass Raphael den Ausdruck Bewegung hört, um das zu beschreiben, was er tut. Irgendwie ist er nicht ganz passend. »Wir sind eine Gruppe von Leuten, die versuchen, das Land zu verändern«, sagt er, »und wenn uns das zu einer Bewegung macht, bitte schön.«
»Und Walker?«, wiederholt Kent.
»Ich weiß nicht. Ich habe ihm nicht davon erzählt, aber vielleicht wollte er kommen. Ich hätte es mir gewünscht.«
»Waren heute Abend neue Gesichter in der Gruppe, irgend jemand, der sich auffällig verhalten hat?«, fragt Schroder.
Raphael
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