Ophran 3 Die entflohene Braut
leid, von adligen Herrschaften prüfend beäugt zu werden. Wenn der greise Earl sich ihm in irgendeiner Weise überlegen wähnte, wenn er es wagen sollte, auch nur eine abfällige Bemerkung zu machen...
„Du hast die Augen deiner Mutter. “
„Soll das ein Scherz sein? “
„Ich scherze nie“, erklärte Lord Hutton. „Ich bin für derartigen Unsinn zu müde und dem Tod zu nah. Ich finde halt dass du die Augen deiner Mutter hast. “
„Sie müssen mich mit jemandem verwechseln. “
„Nein“, entgegnete Lord Hutton, unbeeindruckt von der tiefen Feindseligkeit, die sein Gast ausstrahlte. „Du bist Jack Kent, seit dem Alter von vierzehn Jahren vom Marquess und der Marchioness of Redmond erzogen. Als Lady Redmond noch Miss Genevieve MacPhail hieß, entdeckte sie dich in einer schmutzigen kleinen Kerkerzelle in der Stadt Inveraray, wo du wegen Diebstahl einsaßest. Im Gefängnis hattest du dich mit Lord Redmond angefreundet, der zu jener Zeit wegen Mordes verurteilt war. “
„Ich habe keine Zeit für diesen Unfug“, knurrte Jack und ging zur Tür.
„Deine Mutter war Sally Moffat, die als Kammerzofe im Hause des Earl of Ramsay angestellt war. “
Jack erstarrte.
„Du bist Jack Moffat, mein liebster Kleiner“, hatte seine Mutter stets zu ihm gesagt und dabei mit den Fingern durch sein Haar gestrichen. „Und wenn du groß bist, werden sie dich Mr. Jack Moffat nennen und mit Respekt behandeln, wie es sich für einen Gentleman wie dich gehört. “
„Du erinnerst dich doch an sie, nicht wahr? “ fragte Lord Hutton beharrlich. „Zumindest ein wenig? “
Jack wandte sich langsam zu ihm um.
„Ja, ich kann sehen, dass du es tust“, verkündete Edward entschieden. „Vielleicht nicht gut, schließlich hat sie dich nur unregelmäßig besucht, nachdem sie dich in die Obhut dieses widerlichen Kerls und seiner Frau gegeben hatte. Doch gut genug, nehme ich an, um wenigstens einige Erinnerungen an sie zu haben, bevor die Syphilis sie dahinraffte. “
Es fehlte nicht viel, und Jacks Entrüstung wäre in rohe Gewalt umgeschlagen. Nur Lord Huttons geschwächter Zustand hielt ihn davon ab, den alten Mann aus dem Bett zu zerren und quer durch das Zimmer zu schleudern.
„Warum? “ Jack ballte die Hände zu Fäusten und versuchte, seine Wut im Zaum zu halten. „Warum tun Sie das? “ Lord Hutton betrachtete Jack eine geraume Weile, ehe er den Blick von ihm abwandte und auf sein Selbstporträt richtete, das hinter seinem zornigen jungen Gast an der Wand hing.
„Es hat eine Zeit gegeben“, begann er mit beinahe wehmütig klingender Stimme, „als ich ein wenig so war wie du. Jung. Stark. Stattlich. Ich hatte mein ganzes Leben vor mir. In meiner jugendlichen Überheblichkeit glaubte ich, dass der Sinn des Lebens vor allem darin bestünde, es in vollen Zügen zu genießen. Von meiner Vergnügungssucht getrieben, war ich oft auf dem Landgut von Lord Ramsay zu Gast. Kennst du ihn? “
„Nein. “
„Schade“, bedauerte Lord Hutton kopfschüttelnd. „Ramsay war ein fast ebenso großer Schwachkopf wie ich, doch er verstand sich prächtig darauf, mehrtägige rauschende Landhausempfänge zu veranstalten. “
„Wie schön für Sie“, stellte Jack spöttisch fest.
„Das war es tatsächlich“, entgegnete Edward, der Jacks verächtlicher Haltung mit einem Mal überdrüssig war. „Denn es war auf einem dieser Feste, wo ich vor etwa siebenunddreißig Jahren deiner Mutter begegnet bin. “
Eine dunkle Vorahnung stieg in Jack auf.
„Sie arbeitete als Kammerzofe für Ramsays junge Gattin“, fuhr Edward fort. „Soweit ich mich entsinne, war Miss Moffat außergewöhnlich hübsch, und trotz oder vielleicht wegen ihres relativen Mangels an Bildung und Weltgewandtheit erschien sie mir noch dazu höchst reizend. “ Der Ausdruck seiner Augen verriet keinerlei Reue, während Edward Jack unverwandt anblickte und ihm Zeit ließ, die ganze Tragweite seiner Worte zu erfassen.
Jack wollte nichts mehr hören, dessen war er sicher. Dennoch blieb er wie angewurzelt stehen, die Hände in hilfloser Wut zu Fäusten geballt.
Sei still! Sei still, bevor ich dir dein verlogenes Maul stopfe!
„Wenige Monate später hat deine Mutter mich in meinem Haus in London aufgesucht“, fuhr Lord Hutton fort. „Sie hatte ihre Anstellung als Lady Ramsays Kammerzofe verloren, als es sich nicht mehr verbergen ließ, dass sie in anderen Umständen war. Sie behauptete, ich sei der Kindsvater, und bat mich, ihr zu helfen. Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher