Ophran 3 Die entflohene Braut
schlanker junger Mann mit braunem Haar und eisgrauen Augen ein Messer an die Gurgel hielt. „Er hat völlig den Verstand verloren! “
„Ich bedaure, Sie zu so später Stunde noch zu stören, Lord Hutton“, sagte Jack spöttisch. „Doch ich dachte, ich sollte Ihnen die Mühe und die Kosten ersparen, mich von Mr. Dempsey beschatten zu lassen, und persönlich bei Ihnen vorbeischauen. Eine weit bequemere Art, um zu erfahren, was immer Sie wissen wollen, finden Sie nicht? “
Edward starrte Jack fassungslos an.
„Lassen Sie das Messer fallen, oder ich blase Ihnen das Hirn aus dem Schädel! “
Lord Huttons Blick huschte zur Tür. Dort stand, ein auf Jack gerichtetes Gewehr in den Händen, sein Stallmeister, hinter dessen Rücken sich Mrs. Quigley, sein Butler und ein Dutzend ihm mehr oder weniger vertraute Mitglieder der Dienerschaft verschanzt hatten.
„Hinaus mit Ihnen! “ befahl Edward mit finsterem Blick. „Auf der Stelle! “
Der Stallmeister guckte ihn entgeistert an und fragte sich offenbar, ob sein Dienstherr den Verstand verloren habe. „Verzeihen Sie, Eure Lordschaft, doch Sie befinden sich in großer Gefahr... “
„Scheren Sie sich hinaus! “ brüllte Edward. „Ehe ich Sie alle zum Teufel jage! “
Die Schar der Dienstboten zog sich hastig zurück.
„Sie gehen auch, Dempsey. Er braucht Sie nicht länger. “ Edward schaute Jack ruhig an.
Jack betrachtete den runzeligen alten Mann, der hilflos vor ihm im Bett lag, aus zusammengekniffenen Augen. Es war offensichtlich, dass Lord Hutton keine Angst vor ihm hatte. Er strahlte vielmehr eine Art gespannter Vorfreude aus, als habe er lange auf diesen Augenblick gewartet.
Jack ließ Neil Dempsey unvermittelt los, woraufhin dieser mit einem Aufschrei der Erleichterung aus dem Zimmer flüchtete.
„Schließ die Tür. “ Edward legte die Fingerspitzen aufeinander, während er seinen unangemeldeten Besucher musterte. „Ich möchte nicht, dass wir gestört werden. “
Jack steckte den Dolch in den Schaft seines Stiefels, | durchquerte das riesige Schlafgemach und schlug die Tür zu.
„Setz dich! “ Lord Hutton wies auf einen mit goldfarbener Seide überzogenen Sessel neben seinem Bett.
„Ich stehe lieber. “
Edward nickte. Ihm war nach einer Stärkung zu Mute, und | so tastete er unter dem Kopfkissen nach seiner silbernen Taschenflasche.
„Brandy? “ Seine Hand zitterte leicht, als er Jack die Fla sche entgegenhielt.
„Nein. “
Edward machte sich mit zittrigen Fingern an dem Verschluss zu schaffen, nicht bereit, seine Schwäche zu offenbaren, indem er das verfluchte Ding zum Mund führte und mit den Zähnen losschraubte. Nachdem er eine Weile erfolglos versucht hatte, die Flasche zu öffnen, hielt er inne und überlegte, ob er das widerspenstige Behältnis nicht einfach zurück unter sein Kissen schieben sollte, bevor er sich vollends erniedrigte.
Jack ging zum Bett, entfernte den Verschluss und gab Edward die Flasche zurück.
„Danke. “ Nach ein paar Schlucken gebührend gestärkt, setzte Edward die Flasche ab und betrachtete Jack aufmerksam. „Dann hast du also gemerkt, dass du beschattet wirst. Ich habe immer gewusst, dass Dempsey zu trottelig ist, um nicht eines Tages entdeckt zu werden. “
Jack schwieg. Alles an Lord Hutton stieß ihn ab, angefangen von dem nach Krankheit riechenden, prunkvoll ausstaffierten Schlafgemach bis zu dem bleichen, zerbrechlichen Körper zwischen den gestärkten karmesinroten Laken. Er hatte keinerlei Verlangen danach, auch nur einen Augenblick länger als nötig in der Gesellschaft des alten Mannes zu verbringen. Während er Dempsey durch Lord Huttons Anwesen geschleift hatte, war Jack aufgefallen, dass es einen recht luxuriösen Eindruck machte. Dem Heer der Dienstboten nach zu urteilen, die zur Rettung ihres Brotgebers herbeigeeilt waren, schien der alte Lord auch keine Geldsorgen zu haben. Dennoch war Jack klar, dass Hutton irgendeine Verbindung zwischen der vermissten Amelia Belford und der jungen amerikanischen Witwe hergestellt haben musste, die bei ihm Quartier bezogen hatte.
Zehntausend Pfund waren viel Geld für einen verarmten Aristokraten, wie Percy Baring eindrucksvoll bewiesen hatte.
„Was wollen Sie von mir, Hutton? “
Der alte Graf musterte ihn eine geraume Weile. Jack hatte das untrügliche Gefühl, dass er ihn zu ergründen versuchte. Es war, als wolle Hutton hinter seine Fassade sehen. Jack er widerte seinen Blick mit unverhohlener Verachtung. Er war es unsäglich
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