Ophran 3 Die entflohene Braut
ihrer Nachthaube hervorschaute, stand mit gerötetem Gesicht auf der Türschwelle und starrte die Ankömmlinge aus weit aufgerissenen Augen an. Ihre Wangen waren voll, doch faltig, ihr Blick leicht glasig, als sei sie soeben aus tiefem Schlaf gerissen worden. Sie öffnete den Mund, um noch etwas hinzuzufügen, und entblößte dabei zwei Reihen ein wenig schiefer, gelblicher Zähne, doch alles, was sie von sich gab, war ein ungemein lauter Hickser.
„Guten Abend, Lizzie“, sagte Jack, während die Haushälterin sich hastig die Hand vor den Mund hielt. „Ich hoffe, wir bereiten Ihnen durch unsere späte Ankunft keine allzu großen Unannehmlichkeiten. “
Der süßliche Geruch von Wacholderschnaps strömte aus Mund und Nase der alten Frau, als Jack Amelia an ihr vorbei ins Haus geleitete.
„Natürlich nicht“, murmelte Lizzie, wobei sie bewundernswert darum rang, einen nüchternen Eindruck zu vermitteln. Sie stieß abermals laut auf, blinzelte und hoffte, niemand habe es bemerkt. „Wir haben Sie nur nicht erwartet, das ist alles. “
„Es tut mir Leid, dass ich Sie nicht benachrichtigen konnte“, entschuldigte sich Jack. „Ich hatte nicht die Absicht, nach London zu kommen, doch meine Pläne haben sich kurzfristig geändert. “
Plötzlich erschien ein riesiger, kugelrunder Mann in der Küchentür und versuchte verzweifelt, den Gürtel seines karmesinroten Morgenrocks über seinem ausladenden Wanst zu schließen. Eine blau-weiß gestreifte Schlafmütze saß gefährlich schief auf seinem glänzenden kahlen Schädel, und er hatte nur einen ausgetretenen Pantoffel gefunden, so dass die kurzen, dicken Zehen seines anderen Fußes nackt waren. Wie Lizzie hatte auch er ein faltiges Gesicht, was auf ein Alter von über sechzig Jahren schließen ließ, doch Amelia fand, dass es etwas rührend Kindliches an sich hatte, wie er so linkisch an dem ausgefransten Gürtel seines Morgenmantels nestelte.
„Guten Abend, Beaton“, meinte Jack.
„Allmächtiger! “ stieß Beaton hervor, und seine glasigen Augen quollen ihm beinahe aus dem Kopf, während er Amelia mit einem Ausdruck einfältiger Verwunderung anstarrte. „Unser Mr. Jack hat geheiratet! “ Zutiefst bewegt stolperte er vorwärts und schlang seine kräftigen Arme um Jacks Taille, „Herzlichen Glückwunsch, Sir! “ sprudelte er hervor und schniefte dabei vor Rührung. „Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Sir: Sie ist ein richtiges Prachtstück. “ Er rülpste. „Voll wie die Haubitzen, die beiden“, stellte Oliver angewidert fest. „Heutzutage findet man einfach kein anständiges Personal mehr. “
„Gar nicht wahr! “ widersprach Lizzie empört. „Ich brauche ab und zu einen Schluck Gin für mein armes altes Herz, das ist alles. “ Sie hickste erneut und täuschte dann einen Hustenanfall vor.
„Und ich habe nur ein Gläschen getrunken, um ihr Gesell- schaft zu leisten“, fügte Beaton hinzu, der die Arme noch im- mer um Jacks Taille geschlungen hatte. Amelia war nicht si- eher, ob der Butler Jack aus Zuneigung umarmte oder sich schlicht irgendwo festhalten musste.
„Ihr seid beide völlig betrunken“, widersprach Oliver ge- reizt. „Ihr solltet euch schämen! “
„Nun, Oliver, wir können es Lizzie und Mr. Beaton nicht verübeln, dass sie sich einen kleinen Drink genehmigt haben, nachdem sie das Haus für die Nacht abgeschlossen hatten und nicht mit unserer Ankunft rechneten. Noch dazu, wo Lizzie offenbar aus medizinischen Gründen Gin zu sich neh- men muss“, verkündete Amelia.
Die Dienstboten starrten sie mit vor Staunen offenem Mund an. Sogar Jack betrachtete sie neugierig. Er hatte nicht erwartet, dass seine sagenhaft reiche Erbin den offenkundi- gen Schwächen seiner Angestellten gegenüber so nachsichtig sein würde.
„Vielen Dank, Mrs. Kent“, sagte Lizzie und wäre um ein Haar vornüber gekippt, als sie einen unbeholfenen Knicks machte. „Sie sind sehr freundlich. “ Sie hickste.
„Sie ist ein echtes Prachtstück. “ Beaton zwinkerte Jack zu. „Miss Belford ist nicht meine Gemahlin“, erklärte Jack und löste sich aus Beatons Umarmung. Er hielt den Butler einen Augenblick an den Handgelenken fest, um sich zu vergewissern, dass er auf eigenen Füßen stehen konnte, und ließ ihn dann los. „Sie ist mein Gast und wird ein, zwei Tage bei uns bleiben, während ich... “
„Miss Belford? “ Lizzie runzelte verwirrt die welke Stirn. „Miss Amelia Belford, die amerikanische Erbin? “
Amelia blickte Jack
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