Ophran 3 Die entflohene Braut
frisch angetrauter Ehemann von ihr verlangte. Und Whitcliffe hätte alles von ihr verlangt, was in seinen Möglichkeiten lag. Trotz des fortgeschrittenen Alters und der Leibesfülle des Herzogs konnte Jack nicht glauben, dass irgendein Mann einer solch außergewöhnlichen Schönheit hätte widerstehen können.
Empörung stieg in ihm auf. Kein Mann hatte das Recht, sich einer unwilligen Frau aufzuzwingen, ganz gleich, ob das Gesetz, die Kirche oder ihre Eltern sie dazu drängten, ihm dieses Recht einzuräumen. Jack wusste nicht, ob Amelia aus Angst um ihre Zukunft geweint hatte oder aus bloßer Erleichterung darüber, Whitcliffe entkommen zu sein. Was auch immer der Grund sein mochte, die Tränenspur auf ihrer Wange rührte ihn zutiefst. Er nahm die verrutschte Decke vom Fußende des Bettes und breitete sie unbeholfen über ihren Körper.
Dann blies er die Lampe aus und verließ den Raum, zu er-bost, um sich über das ungewohnte Gefühl der Fürsorglichkeit zu wundern, das in seinem Herzen aufkeimte.
3. KAPITEL
Irgendwo im Zimmer tickte eine Uhr. Ihr steter, gleichmäßiger Takt war das Erste, was durch die Schichten der Erschöpfung in ihr Bewusstsein drang. Amelia vergrub das Gesicht tiefer in ihr Kissen und drückte die Augen fest zu. Sie wollte nicht aufwachen. Seit Monaten schon wollte sie nicht aufwachen, nicht, seit die Gewalt über ihr Leben von ihr genommen und in Lord Whitcliffes feuchte, fleischige Hände gelegt worden war. Jeden Morgen wurde sie von derselben lähmenden Verzweiflung befallen, die sie zu bekämpfen suchte, indem sie sich wieder in die warmen Fluten des Schlafes gleiten ließ. Doch als der Tag ihrer Hochzeit mit dem abstoßenden alten Herzog immer näher gerückt war, hatte sogar der Schlaf seine tröstende Kraft verloren. Zunächst hatten ihre Träume sie in die glücklichen Tage ihren Kindheit entführt, nun jedoch fand sie sich am Ende stets in einer ausweglosen Lage wieder, eine Gefangene ihrer Eltern, der Dienstboten, ihrer selbst. Bald würde sie Lord Whitcliffes Gefangene sein, zumindest würde er ihren Körper besitzen, wenn auch nicht ihre Seele.
Eine Welle der Übelkeit stieg in ihr auf. Amelia schlug die Decke zurück, erhob sich schwankend aus dem Bett und hielt verzweifelt nach dem Waschbecken Ausschau. Es war nicht dort, wo es sein sollte. Verwirrt ließ sie den Blick über das ungewohnte Mobiliar schweifen, das sie in dem abgedunkelten Zimmer umgab, und empfand plötzlich große Furcht.
„Guten Morgen, Kindchen, wie fühlen wir uns heute? “
Jemand stellte geräuschvoll ein Tablett auf einen Tisch und zog dann die Vorhänge beiseite, woraufhin das Zimmer von hellem Sonnenlicht durchflutet wurde. „Halb verhungert, nehme ich an, und das ist auch kein Wunder, wo Sie gestern Abend nicht einmal mehr die Kraft hatten, Ihr Essen anzurühren, Sie armes Kind. “
Eine rundliche, grauhaarige Frau schnalzte bestürzt mit der Zunge, als ihr Blick auf das unberührte Tablett fiel. Mit einem Mal kehrte Amelias Erinnerung zurück, ihre Übelkeit verflog und machte einer Art ehrfürchtigem Staunen Platz.
Oh mein Gott, dachte sie, hin und her gerissen zwischen Freude und Furcht. Was um alles in der Welt habe ich nur getan?
„Haben Sie gut geschlafen? “ fragte Lizzie.
Sie nickte.
Die ältere Frau betrachtete sie zweifelnd. „Nun, diese dunklen Ränder unter den Augen werden Sie gewiss noch eine Weile plagen. Das kommt von der ganzen Aufregung. Heute Abend mache ich Ihnen einen schönen Schlummertrunk aus heißer Milch mit Branntwein, um Ihre Nerven zu beruhigen. Wenn das nicht hilft, versuchen wir es mit einer Packung aus eingemachten Rosenblättern und faulem Apfel. Wollen doch mal sehen, ob das die dunklen Ringe nicht vertreibt! “
Trotz der Fürsorglichkeit der Frau hoffte Amelia, nicht noch eine Nacht bleiben zu müssen. Wenn es Jack gelang, Percy ausfindig zu machen, musste sie ihn so schnell wie möglich treffen. Nur bei ihm war sie vor Lord Whitcliffe und ihrer Familie sicher, die gewiss alles Menschenmögliche unternahmen, um sie zu finden. Besonders ihr Vater würde über ihr plötzliches Verschwinden beunruhigt sein. Zweifellos war er zutiefst erbost über ihre Tat, doch Amelia wusste, dass er sich auch entsetzliche Sorgen um sie machte.
Sie schluckte und kämpfte mit den Tränen, die ihr in die Augen gestiegen waren.
„Na, na, Liebes, ist ja schon gut“, gurrte Lizzie, beunruhigt °b Amelias Verzweiflung. „Sie sind jetzt in Sicherheit, dafür werden Mr.
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