Optimum 1
Jo umgebracht?«, wollte sie wissen.
Lars zuckte zusammen. »Natürlich nicht!« Die Antwort kam so schnell und so erschrocken, dass Rica ihm glaubte. Außerdem sah sie zu ihrer Verwunderung, wie Tränen in Lars’ Augen traten. »Ich hätte Jo nie etwas antun können.«
Schweigen.
Rica überlegte, was sie sagen sollte, und Lars stand immer noch da, als erwarte er irgendeine Art von Absolution.
»Was ist es dann, das ich nicht herausfinden soll?«, fragte sie vorsichtig. Sie versuchte wieder, die Hände hinter ihrem Rücken leicht zu bewegen. Vielleicht gelang es ihr ja doch, das Seil abzustreifen.
Lars schwieg und starrte aus dem Fenster.
»Weißt du, wer Jo umgebracht hat?«, wagte Rica einen weiteren Vorstoß.
Immer noch schwieg er, zeigte keine Regung. Genauso gut hätte er eine Statue sein können. Rica zog an ihren Fesseln. Das Seil grub sich tief in die Haut, doch allmählich glaubte sie, dass sie eine der Schlingen lockern konnte. Sie versuchte es noch einmal, vorsichtig und langsam, und tatsächlich gab das Seil ein kleines bisschen nach. In dem Moment drehte Lars sich wieder zu ihr um und schenkte ihr einen misstrauischen Blick. Sie erstarrte auf der Stelle.
»Was war mit dir und Jo?«, fragte sie leise.
Lars verzog schmerzlich das Gesicht und zeigte ihr dadurch, dass sie auf der richtigen Spur war. Aber noch immer sagte er nichts.
»Ihr habt euch doch so oft getroffen. Da ist es doch normal, wenn …« Ricas Stimme versagte kurz. Sie musste sich zwingen, weiterzusprechen. »Es ist doch normal, wenn man sich da näherkommt.«
Die Tränen lösten sich aus Lars’ Augen und rannen seine Wange hinunter. »Ich hab sie geliebt«, flüsterte er. »Wirklich geliebt. Keine Ahnung, woher das gekommen ist, ich bin … ich war doch immer ein treuer Mann, und Andrea ist eine gute Frau. Aber Jo … ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte. Sie war immer hier, eigentlich nur, um zu klettern, also, zumindest zu Anfang. Und als ich gemerkt habe, was sie wirklich wollte, da war es schon zu spät. Ich habe mich in sie verliebt, Rica, das musst du mir glauben.« Er sah sie flehentlich an. »Ich habe sie geliebt«, wiederholte er noch einmal.
Rica starrte ihn an. Die Tränen liefen ihm jetzt frei übers Gesicht, seine Augen waren gerötet, seine ganze Haltung zeugte von Niederlage.
»Hat sie dich auch geliebt?«, bohrte sie vorsichtig weiter und begann währenddessen, wieder an ihren Fesseln zu ziehen. Sie bekam die Schlinge ein gutes Stück weiter auf. Nicht mehr lange, und sie konnte die Hand aus dem Knoten ziehen. Bis sie es geschafft hatte, musste sie Lars hinhalten. Er wollte offensichtlich reden. Gut. Sollte er reden.
Er verzog das Gesicht. »Natürlich hat sie das. So etwas merkt man doch.«
Tatsache? Und warum musst du es dann extra betonen? Die Frage lag Rica auf der Zunge, aber sie sprach sie nicht aus. Sie zog vorsichtig an dem Knoten, aber irgendwas musste sich verhakt haben, das Seil bewegte sich nicht weiter. Sie unterdrückte einen Fluch und wandte sich wieder Lars zu.
»Was ist mit Jo passiert?«
Er schwieg und sah zum Fenster hinüber. Sein Gesicht glänzte vor Tränen.
»Was ist mit ihr passiert? Sie hat doch wohl nicht wirklich Selbstmord begangen, oder?« Der Knoten wollte sich einfach nicht lösen, egal, wie sehr sie daran zerrte. Vielleicht, wenn sie mit den Fingern herankam …
Ganz langsam schüttelte Lars den Kopf. Die Bewegung war so schwach, dass sie kaum zu sehen war, aber Rica nahm sie trotzdem wahr. Ein eisiger Schauer durchlief sie, als ihr bewusst wurde, dass Lars tatsächlich sehr genau wusste, wie Jo zu Tode gekommen war.
Lars schwieg weiter und vermied es, Rica in die Augen zu sehen.
»Lars? Wer hat Jo umgebracht?« Sie fuhr ihn scharf an. Über die Frage vergaß sie sogar, an den Fesseln zu ziehen, das hier erschien ihr jetzt wichtiger.
»Ich habe das nicht gewollt«, flüsterte er. »Ich habe sie doch geliebt. Und ich …« Seine Stimme verlor sich. Er ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder, ein Sinnbild der Hilflosigkeit.
»Wer, Lars?«
»Sie hat sie getötet.« So leise, dass es selbst in dem stillen Zimmer kaum zu hören war. »Andrea hat sie umgebracht. Und ich konnte nichts für sie tun.«
Das Blut in Ricas Adern schien zu stocken. Dass sie etwas Ähnliches vermutet hatte, linderte den Schock über das plötzliche Geständnis nicht im Geringsten.
Andrea hatte Jo getötet.
Die Gedanken überschlugen sich in Ricas Kopf, und plötzlich wurde sie
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