Optimum 1
nur ein dumpfes Gefühl in ihr zurück. Sollten die beiden zu Hause doch tun, was sie wollten.
Zu Hause.
Sie musste sich vorsehen, dass sie diese beiden Wörter nicht für die Dreizimmerwohnung verwendete, die sie und ihre Mutter jetzt bewohnten. Es war schwer, das nicht zu tun. Rica gab es ja nicht gern zu, aber irgendwie mochte sie ihr Zimmer mit den hellen, rau verputzten Wänden und den zwei großen Fenstern, die auf den Schulpark und den Vorplatz hinausgingen.
Gib doch zu, dass es dir hier gefällt! Du arbeitest ja sogar in der Hausaufgabenbetreuung mit, um mit den anderen mithalten zu können. Und du hast Freunde! Hinterhältige Gedanken.
Rica schüttelte sie ab, griff den Gurt ihrer Tasche fester und machte sich endgültig auf den Weg.
Sie war wirklich spät dran. Als sie die Eingangstür des Wohnhauses erreichte, zeigte die große Uhr im Foyer fünfzehn Uhr an. Eher sogar ein bisschen später. Mist. Der Kletterkurs fing um Punkt drei Uhr nachmittags an. Aber Lars war niemand, der wegen ein paar Minuten ein großes Theater machte. Rica konnte ja nach dem Kurs dableiben und ihm und seiner Frau aufräumen helfen, das würde ihn schon wieder versöhnen. Trotzdem entschloss Rica sich dazu, lieber zu laufen.
»Du bist spät«, rief ihr der Portier zu, als sie die Tür aufriss.
»Ich weiß«, gab sie nur zurück. »Geht schon.« Und dann war sie bereits draußen, im strahlenden Sonnenlicht, das die Daniel-Nathans-Akademie geradezu gebucht zu haben schien. Es hatte kaum einen Regentag gegeben, seit Rica hier angekommen war.
Das Gelände war wie ausgestorben, die meisten Schüler waren wahrscheinlich entweder schon in ihren AGs oder auf dem Weg in die Stadt, um in die Eisdiele zu gehen. Rica hetzte los, sodass der Kies auf dem Fußweg unter ihren Schritten nach allen Seiten spritzte. Es tat gut, zu laufen. Es tat gut, die warme Luft auf ihren nackten Armen und Beinen und ihrem Gesicht zu spüren, und Rica genoss es, wie ihre Muskeln arbeiteten.
Der Weg zur Kletterwand war kurz, dennoch war es fast zehn nach drei, als Rica atemlos dort ankam. Alle anderen waren natürlich längst da, und Sarah, die sich offensichtlich mal wieder vorgedrängelt hatte, war schon halb die Wand hinauf.
»Liebe Rica, noch bist du nicht an einer Universität. Das akademische Viertelstündchen trifft für dich nicht zu.« Trotz seiner Worte grinste Lars sie schelmisch an, als verstehe er genau, warum sie zu spät gekommen war. Na, wenigstens einer von uns beiden, dachte Rica, ich habe nämlich keine Ahnung, warum ich immer so trödeln muss. Außer vielleicht, dass ich tatsächlich um Aufmerksamkeit ringen will, wie Frau Jansen behauptet.
»Wo warst du?«, flüsterte Eliza, als Rica die Sporttasche neben ihrer auf den Boden fallen ließ und begann, darin nach dem Hüftgurt und ihren Handschuhen zu suchen. »Jo will – «
Im nächsten Moment wurde sie von Lars unterbrochen. »Nicht schlecht, Sarah, aber deine Zeit war schon mal besser. Und eigentlich müsstest du dich endlich an den linken Aufstieg wagen. Gut genug bist du doch.« Rica blickte auf und sah, dass Sarah oben an der Wand angelangt war und sich locker mit den Beinen dagegen abstemmte, bereit, sich abzuseilen.
»Sie hat wieder den rechten Weg genommen«, murmelte Eliza. »Traut sich nicht mal an den mittleren.«
»Ich könnte auf dem rechten schneller sein als sie«, flüsterte Rica zurück. »Ich wette, ich könnte sogar schon den linken, wenn Lars mich nur lassen würde.« Eliza schenkte ihr einen zweifelnden Blick, aber bevor sie sich dazu äußern konnte, wandte Lars sich ihnen zu. »Und, was meinst du, Rica, möchtest du dich heute nicht mal an der linken Route versuchen?«
Rica riss die Augen auf und hörte, wie Eliza neben ihr nach Luft schnappte. »Ich? Die linke Route? Aber ich bin doch erst seit ein paar Wochen dabei …« Natürlich hatte sie gerade noch behauptet, das ganz sicher zu können, aber das war in der Annahme geschehen, dass sie ewig Zeit hätte, diese Behauptung beweisen zu müssen. Viele in der Kletter-AG waren schon so viel länger dabei als sie, Jahre sogar, und auch wenn Lars immer von ihrem Talent sprach und Rica das Gefühl hatte, in den paar Wochen richtige Fortschritte gemacht zu haben, so hätte sie doch nie gedacht, sich wirklich so schnell an der schweren Route versuchen zu können.
»Na, du flehst mich doch die ganze Zeit an, es probieren zu dürfen, oder nicht?«, meinte Lars und zwinkerte ihr wieder zu. Mit einer Hand strich er
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