Optimum 1
Sicherungshaken gleiten und spürte den Zug, als Jo nachspannte.
Erst einmal in Angriff genommen, ging die linke Route besser, als Rica geglaubt hatte. Es gab tatsächlich nicht allzu viele Möglichkeiten, falsch zu greifen oder sich in eine Sackgasse zu arbeiten – dafür waren einfach viel zu wenige Griffe in Reichweite. Ich kann gar nicht fehlgehen , dachte sie, während sie nach oben zum nächsten Griff langte und sich hochzog. Das Einzige, was passieren kann, ist, dass ich keine Kraft mehr in den Fingern habe und vielleicht den Halt verliere. Und dafür ist ja Jo da.
Zumindest hoffte sie das. Ganz plötzlich wurde ihr wieder bewusst, wie blass und abgekämpft Jo ausgesehen hatte. Hatte das Mädchen überhaupt die Kraft, Rica zu halten, wenn sie fehlgriff und stürzen sollte? Rica langte nach oben und spürte, wie ein dünner Schweißfilm ihre Handflächen bedeckte. Beinah wäre sie vom nächsten Griff abgerutscht.
Mach keinen Unsinn, ermahnte sie sich, natürlich wird Jo dich halten. Jo ist zuverlässig. Sie hält dich immer. Und außerdem – du wirst nicht fehlgreifen, du wirst nicht abrutschen, und du wirst bestimmt auch nicht fallen. Tust du nie.
Das Seil klickte leise durch seine Halterung, Rica stemmte sich höher und höher. Ihre Wadenmuskeln schmerzten ein wenig, der Abstand zwischen den verschieden Griffen und Tritten war gerade ein bisschen zu groß für jemanden ihrer Körpergröße und zwang sie dazu, sich etwas weiter zu strecken, als angenehm war. Rica biss sich auf die Unterlippe und stieg weiter, die Schmerzen in ihren Beinen ignorierend.
»Du bist zu weit rechts«, rief Eliza von unten herauf. »Pass auf, dass du nicht in eine Sackgasse läufst.«
»Du schummelst«, hörte Rica Sarah maulen, »das muss sie selbst herausfinden.«
Doch Rica war dankbar. Sie korrigierte ihre Route ein wenig, griff nach links oben und stemmte sich über einen Abstand hinauf, von dem sie geglaubt hatte, ihn unmöglich meistern zu können. Dieser letzte Anstieg brachte sie direkt an die Schräge. Sie spürte, wie der Gurt um ihre Hüften sich straffer anzog, Jo gab ihr nicht besonders viel Seil nach. Will sie mich etwa da hinaufziehen?, überlegte Rica. Sie blieb einen Moment lang einfach in der Position hängen, in der sie gerade war, legte den Kopf in den Nacken und sah sich den Überhang an. Die Griffe saßen hier sehr viel enger, und richtig schräg war es eigentlich auch nicht. Nicht zu schräg. Nicht so, dass man es nicht meistern konnte. Jedenfalls war es das, was sie sich jetzt einreden wollte.
Rica holte noch einmal tief Luft und langte nach oben.
Und in diesem Moment wurde das Seil schlaff.
Rica schrie leise auf, warf sich instinktiv nach vorn, um sich enger an die Kletterwand zu pressen, und suchte mit der Linken nach dem Halt, den sie gerade verloren hatte. Irgendwo in weiter Ferne hörte sie Schreie und Rufen, aber darauf konnte sie gerade nicht achten. Sie bekam etwas zu fassen, das vielleicht einer der Plastikgriffe war, krallte ihre Finger fest hinein, sodass sie ihre Nägel brechen spürte, und hielt sich mit aller Gewalt fest. Der Gurt um ihre Hüfte wies noch immer kein bisschen Zug auf, vor ihren Augen baumelte locker das Sicherungsseil. Rica merkte, wie ihr der Schweiß auf die Stirn trat. Sie krampfte ihre Hände um die beiden Griffe, doch schon jetzt fühlte sie, wie sich die Muskeln in ihren Unterarmen verspannten und ihre Finger zu schmerzen begannen. Ein Zittern durchlief ihre Beine, ihre Fußspitzen schienen sich unter ihrem Gewicht nach unten zu biegen, und sie war überzeugt, nicht mehr lange aushalten zu können. Nach wie vor hing das Sicherungsseil schlaff hinunter.
»Rica, festhalten!« Sie wusste nicht, wer da rief, es war auch egal, der Ratschlag war so sinnlos wie undurchführbar. Sie konnte nicht mehr sehr lange in dieser Position verharren, sie wusste nicht, was unter ihr vorging, sie hatte keine Chance, heil hinunterzukommen – außer sie kletterte. Und dafür musste sie wohl oder übel einen Blick nach unten werfen.
Langsam, beinah in Zeitlupe, wie es ihr vorkam, drehte Rica den Kopf über die Schulter zurück und spähte nach unten. Der Betonboden, in den die Kletterwand eingelassen war, schien Kilometer unter ihr zu liegen, nicht nur wenige Meter. Sie konnte ein paar Leute sehen, die sich zusammendrängten, aber keine Details. Alles schien sich vor ihren Augen zu drehen, und das Zittern in ihren Beinen war inzwischen so schlimm, dass sie das Gefühl hatte, gleich
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