Optimum 1
vertreten kann, ist das doch in Ordnung.« Sie machte eine Pause, als sie die hochgezogenen Augenbrauen ihrer Mitschülerinnen sah. »Zumindest ist es das, was ich gelernt habe. Ist das an dieser Schule hier etwa anders?«
Dieses Mal war es Sarah, die die Achseln zuckte. »Hier geht es nicht um deine Meinung«, sagte sie. »An dieser Schule dreht sich alles darum, was richtig und wichtig ist.«
»Und wenn du gute Noten haben willst«, ergänzte Vanessa, »dann schreibst du besser das hin, was eben richtig ist. Es ist so eine Art Test, glaube ich.«
»So ein Quatsch.« Es mochte sein, dass Rica die Sache mit Yannick und Lena immer noch schwer im Magen lag, jedenfalls war sie momentan richtiggehend auf Streit aus. »Alle Menschen sind gleich soll also nicht richtig sein? Und überhaupt: Wo bleibt diese viel gelobte ›Erziehung zum selbstständigen Denken‹? So haben sie es, glaube ich, bei uns damals genannt.«
Die drei anderen Mädchen sahen sich etwas betreten an. Schließlich war es Sarah, die wieder das Wort ergriff. »Also, ich für meinen Teil hab nicht nur das hingeschrieben, was Herr Torbrecht hören wollte.« Die beiden anderen Mädchen schnappten nach Luft, und Rica blinzelte verwirrt, bis Sarah fortfuhr: »Ich bin mir nämlich gar nicht sicher, ob er nicht recht hat. Also ist das doch auch irgendwie meine Meinung, oder nicht? Dass die Menschen nicht gleich sind? Ich hab das nicht nur geschrieben, um ihm zu gefallen.«
Eliza wurde blass, und Vanessa sah nachdenklich aus. Rica spürte Wut in sich aufsteigen, völlig irrationale Wut, die sich einfach nicht mehr zurückhalten ließ. Zu viel war heute passiert. Sarah war nur wie der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
»Sag mal, spinnst du? Das kannst du doch nicht wirklich glauben, oder? Alle Menschen starten gleich ins Leben, egal, wo und wann sie geboren wurden. Was sie dann daraus machen, ist ihre Sache.« So ungefähr hatte sie es damals in ihrer Arbeit an der alten Schule geschrieben.
Sarah zeigte sich nicht im Geringsten von Ricas Wut beeindruckt. Sie zuckte mit den Schultern. »Sieh uns doch mal an! Wir hier an dieser Schule sind doch wohl nicht wie andere Kinder unseres Alters, oder? Sind wir nicht einfach besser?«
Obwohl Rica tatsächlich einen kleinen Anflug von Stolz verspürte, dass Sarah sie so selbstverständlich zu den übrigen Schülern der Daniel-Nathans-Akademie zählte, schüttelte sie heftig den Kopf. » Ihr seid nicht besser als andere, ihr unterscheidet euch nicht mal besonders von ihnen. Ihr hattet nur bessere Startbedingungen, das ist alles. Weil eure Eltern Geld haben.«
»Und wenn wir doch anders sind«, flüsterte Eliza plötzlich, »wer sagt dann, dass das etwas Gutes ist?«
Alle Blicke wandten sich ihr zu. Sarah sah verwirrt aus, Vanessa belustigt. Rica runzelte die Stirn. »Und was soll das wieder heißen?«
Doch Eliza antwortete nicht, zog nur die Schultern hoch und senkte den Blick auf ihre Füße. Sie sah aus wie eine Schildkröte, die sich ganz und gar in sich selbst zurückziehen will.
Rica schüttelte ärgerlich den Kopf. »Ihr spinnt doch alle«, murmelte sie, aber sie merkte, dass ihre Wut schon wieder so gut wie verflogen war. Sie fühlte sich einfach nur noch leer und hohl. Am liebsten wäre sie nach Hause gegangen und hätte sich in ihr Bett verkrochen. Ganz nach Hause. Zurück in die Welt, die sie verstand.
Aber das ging nicht. Selbst wenn sie ihre Mutter dazu überreden konnte, zurückzugehen, gab es dort nichts und niemanden mehr, der auf sie wartete. Lena und Yannick waren einmal die wichtigsten Personen in ihrem Leben gewesen, aber das war jetzt auch vorbei.
Eine Hand legte sich ganz leicht auf ihren Arm. Rica blickte auf und sah in Elizas grüne Augen. Sorge stand darin, und eine tiefe Trauer, die Rica nicht verstand. Doch sie war dankbar für diese Geste, so klein sie auch war. Sie rang sich ein Lächeln ab und legte kurz ihre Hand auf Elizas, bevor sie aufstand.
»Ich gehe jetzt nach Hause«, sagte sie. Sarah und Vanessa, die inzwischen in ihre eigene kleine Unterhaltung vertieft waren, nickten ihr nur knapp zu, aber Eliza sah sie immer noch mit diesem ernsten Gesichtsausdruck an.
»Sag mir Bescheid, wenn du mal reden willst«, sagte sie sehr leise. So leise, dass Sarah und Vanessa sie ganz sicher nicht hören konnten. Doch Rica schon. Sie warf ihr einen dankbaren Blick zu. Dann machte sie sich auf den Weg zu dem Gebäude, das sie jetzt ihr Zuhause nennen musste.
Ihre
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