Optimum 1
passiert ist. Niemand weiß das.«
»Mir wird schon was einfallen.« Rica war sich bewusst, dass sie immer noch ein wenig trotzig klang, und sie versuchte sich an einem Lächeln. »Vielleicht ist sie wirklich abgehauen. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie sich nicht besonders wohl an dieser Schule fühlt.«
»Wer tut das schon«, murmelte Eliza und seufzte. »Ich helfe dir, wenn du willst.«
Doch obwohl sie überall herumfragten und vor Frau Jansens Tür herumschlichen, bis sie ein Hausmeister aus dem Schulgebäude warf, kamen sie zu keinem Ergebnis. Niemand hatte Jo seit ihrem Anfall gesehen. Und Robin, der sie zu Frau Jansen begleitet hatte, war ebenfalls unauffindbar. Er geht uns bestimmt absichtlich aus dem Weg, dachte Rica.
Als Jo am nächsten Morgen wieder nicht in der Schule erschien, wurden ihre Eltern informiert. Rica und Eliza kamen gerade aus der Mensa, als die beiden das Schulgebäude betraten.
»Was für Snobs«, murmelte Rica, als die elegant gekleidete Dame und der hochmütige Mann an ihr vorbeirauschten. »Sind deine Eltern auch so?«
Eliza schüttelte den Kopf und sah mit einem angewiderten Gesichtsausdruck Jos Eltern hinterher. »Jo hasst sie richtig«, murmelte sie.
»Kann ich verstehen.« Rica verzog das Gesicht. Jos Eltern stiegen inzwischen die Treppe zum Hauptgebäude hoch. Sie achteten überhaupt nicht auf ihre Umgebung, als wären all die Schüler, die gaffend stehen geblieben waren, komplett unsichtbar.
»Ich habe gleich gesagt, dass diese Schule keine gute Idee ist«, hörte Rica die Frau sagen, als diese sie passierte. »Hauslehrer sind doch das einzig Wahre. Die hätten unsere Tochter sicher auch nicht einfach so verloren.«
»Aber das Stipendium …« Die Stimme des Mannes verlor sich, als die beiden ins Büro des Direktors traten, ohne vorher anzuklopfen.
»Die sehen eigentlich nicht so aus, als bräuchten sie unbedingt ein Stipendium für Jo.« Rica war fassungslos. »Die haben doch bestimmt einen Haufen Kohle. Verstehst du das?«, fragte sie Eliza. Zu ihrer Überraschung war ihre Freundin ungewöhnlich blass geworden. Sie starrte den Eltern von Jo hinterher, als hätte sie einen Geist gesehen.
»He, Eliza!« Rica fuchtelte mit der freien Hand vor Elizas Augen herum. Da erst schien ihre Freundin wieder zu sich zu kommen.
»Ich habe keine Ahnung«, murmelte sie. »Ich muss jetzt los. Hab noch Hausaufgaben zu machen.« Sie wandte sich abrupt ab.
»Können wir doch zusammen machen!«, rief Rica ihr hinterher.
Eliza blieb stehen, drehte sich noch mal um und lächelte verzeihungsheischend. »Sind welche für Management. Du weißt ja, die hasse ich besonders. Und ich fürchte, dabei kannst du mir auch nicht helfen.«
Rica runzelte die Stirn. Da steckte doch mehr dahinter. Es war offensichtlich, dass Eliza jetzt allein sein wollte, aber Rica wusste beim besten Willen nicht, warum. Allerdings – wenn sie es unbedingt wollte, dann würde Rica sie nicht aufhalten.
»Okay. Dann bis morgen«, meinte sie.
Eliza nickte, zögerte einen ganz kurzen Augenblick, als wollte sie noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anscheinend anders und lief davon.
* * *
Ein Stipendium. Eliza konnte immer noch nicht ganz glauben, was sie da gehört hatte. Rica hatte recht – Jos Eltern sahen nicht nach den Leuten aus, die ein Stipendium für ihre Tochter benötigten. Das allein hätte schon ausgereicht, um Eliza hellhörig zu machen.
Aber das war nicht alles.
Eliza ging langsam in Richtung Schülerunterkünfte. Die Sonne schien, aber sie nahm die Wärme der Strahlen kaum wahr. Ihre Adern fühlten sich an, als würde Eiswasser durch sie hindurchfließen. Sie selbst – Eliza – hatte auch ein Stipendium erhalten. Sie hatte immer gedacht, dass das an ihren guten Noten lag und daran, dass ihre Eltern sich das Schulgeld niemals hätten leisten können. Ihren Eltern zuliebe hatte sie das Stipendium auch angenommen, selbst wenn sie die Bedingungen dafür hasste. Therapiestunden als Voraussetzung? Warum ist das eigentlich noch nie jemandem komisch vorgekommen?
Aber jetzt?
Jo hatte ein Stipendium, sie selbst hatte ein Stipendium. Sie hatte sich nie gefragt, wer noch. Sarah? Torben? Robin? Janina? Gehörten all die besonders guten Schüler dazu?
Wir sind eine Sekte innerhalb einer Sekte, dachte Eliza, als sie die Tür zu den Schülerunterkünften aufschob, und niemand von uns ist gefragt worden, ob wir beitreten wollen.
Sie musste mehr herausfinden. Musste etwas unternehmen.
Aber was?
* *
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