Optimum 1
unwillkürlich einen Schritt zurückgewichen war. »Was ist los?«
Ja, wegen gestern. Was hattest du vor? »Nichts«, erwiderte Rica hastig. Es klang nicht sehr natürlich, und dessen war sie sich sehr bewusst. Robins Züge verdüsterten sich.
»Du hast Angst vor mir«, stellte er fest und stieg die letzten paar Stufen herunter, sodass er nun neben ihr stand. Rica konnte den leichten Duft nach Deo riechen, der von ihm ausging. Ihr Bauch verwandelte sich in eine Schmetterlingsfarm, aber gleichzeitig griff die Angst wieder zu. Was mache ich nur, wenn er mich wieder fragt, mit ihm allein irgendwo hinzugehen?
»Nein«, widersprach sie trotzdem. »Warum sollte ich?«
Robin seufzte und sah sich um. »Gehen wir in den Aufenthaltsraum«, sagte er, als eine Horde Unterstufler an ihnen vorbeistürmte. »Da sollte bei dem Wetter niemand sein. Und wir müssen reden.«
»Müssen wir das?« Die Schmetterlinge im Bauch kämpften tapfer gegen Ricas Misstrauen. »Ich dachte, du wolltest irgendwohin, wo uns niemand zuhören kann.«
Robin zuckte mit den Schultern. »Und ich dachte, dass du vielleicht zu viel Angst vor mir hast. Im Aufenthaltsraum passiert dir schon nichts. Ich bringe dort äußerst selten Leute um. Zu nahe an meinem Zimmer, du weißt schon.« Seine Stimme sollte scherzhaft klingen, es gelang aber nicht wirklich, und Rica lief wieder ein kalter Schauer über den Rücken. Er kann viele Witze reißen, wenn der Tag lang ist, aber woher weiß ich, dass er damit nicht etwas viel Schlimmeres verbirgt?
Okay , unterbrach sie ihre eigenen Gedanken. Du denkst zu viel, Rica.
Sie folgte Robin einen kurzen Flur entlang zum Aufenthaltsraum. Als er die Tür öffnete, schlug Rica eine Mischung aus kaltem Rauch – obwohl Rauchen verboten war –, Ledergeruch, Bohnerwachsdämpfen und dem Geruch nach vielen, vielen Menschen entgegen, und sie rümpfte die Nase. Mit Eliza hatte sie hier nur einmal einen Blick hineingeworfen, dann hatten sie beschlossen, dass es draußen doch viel schöner war. Oder auf dem Zimmer. Oder sonst wo.
Im Aufenthaltsraum gab es zwei Sitzecken mit abgesessenen Ledersofas, ein paar Tische mit Stühlen, zwei Regale voller veralteter, verstaubter Spiele, einen Glasschrank mit Büchern und eine Kaffee- und Teeküche. Ihrem Zustand nach zu urteilen, wurde sie ausgiebig genutzt – im Gegensatz zu den Spielen und Büchern. Das Zimmer passte so gar nicht zu der sonst so modernen Einrichtung der Daniel-Nathans-Akademie, und Rica fragte sich, ob es ein Überbleibsel aus längst vergangenen Tagen der Schule war.
Robin ging zu den Sofas hinüber und ließ sich auf eins fallen. Er sah nicht auf, und nach kurzem Zögern ließ sich Rica neben ihm nieder. Sofort gab das Polster unter ihrem Gewicht nach, und sie rutschte unwillkürlich ein Stück näher an Robin heran. So nahe tatsächlich, dass sie die Wärme spüren konnte, die von seinem Körper ausging.
Sie spürte, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss, und wandte sich rasch ab. Ob es wirklich so klug ist, hier mit ihm allein zu sein?, ging ihr durch den Kopf, aber sie wies sich selbst zurecht. Sie waren ganz in der Nähe der Eingangshalle, und es waren genug Schüler unterwegs, ganz zu schweigen vom Portier. Sie brauchte einfach nur laut zu schreien, wenn etwas passieren sollte. Nur für den Fall, dass es in diesem Zimmer keine Kameras gab, auf denen der Portier ohnehin alles verfolgen konnte.
So saß sie still da, genoss trotz allem Robins Nähe und wartete darauf, dass er etwas sagte. Doch sein Schweigen war undurchdringlich, und als sie ihm einen schnellen Seitenblick zuwarf, bemerkte sie, dass er sie nicht mal ansah.
»Was war denn nun so wichtig, dass du mich sprechen wolltest?« Rica musste sich anstrengen, nicht schon wieder so aggressiv zu klingen, aber ihre Stimme zitterte trotzdem.
Robin atmete tief durch, schloss kurz die Augen und schien Mut zu sammeln. Dann drehte er sich zu Rica um und blickte ihr direkt ins Gesicht. Rica konnte jede einzelne seiner Sommersprossen erkennen.
»Ich bin es nicht, vor dem du Angst haben solltest.« Robin sah wieder auf seine Füße hinunter. Er wirkte, als bereue er seine Worte jetzt schon.
»Wie bitte?« Rica war sich nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte.
»Du bringst dich in Gefahr«, murmelte er. »Aber ich habe nichts damit zu tun. Das musst du mir glauben.«
»Vor wem oder was sollte ich denn dann Angst haben? Und warum?« Noch immer wusste sie nicht recht, was sie von der ganzen Sache halten
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