Optimum 1
Torben? Sind es deine Noten? Natürlich, du bist ein guter Schüler, das lässt sich nicht bestreiten. Aber es gibt viele gute Schüler an dieser Schule. Was also macht dich so besonders?«
Schweigen.
»Wenn du nicht mit mir reden willst, gut. Aber ich muss dir sagen, dass ich, wenn wir hier keine Fortschritte machen, irgendwann keine andere Möglichkeit sehe, als dich an eine andere Stelle zu überweisen. Es gibt da Einrichtungen, die dir vielleicht helfen können.« Sie sprach beiläufig, als wäre es keine Drohung. Als wolle sie ihm wirklich einfach nur helfen.
»Sie meinen, Sie wollen mich an eine Irrenanstalt überweisen. Hinter Schloss und Riegel. Das ist es doch?«
»Es heißt nicht Irrenanstalt. Das ist so ein abwertendes Wort. Du solltest es nicht so sehen, Torben. Du weißt, dass kranke Leute nicht irre sind. Aber deine Probleme haben ein Ausmaß angenommen –«
»Es ist mir egal, wie Sie es nennen wollen. Im Endeffekt ist es doch nur eine Irrenanstalt. Sie wollen, dass mir jemand anderes ins Hirn schaut, nicht wahr? Oder dass ich mit irgendwelchen Medikamenten ruhiggestellt werde. Bevor ich eine Gefahr für die Gesellschaft werde. Bevor ich Amok laufe oder so etwas.« Torben lachte, aber es klang bitter und aggressiv.
Frau Jansen wartete einen Augenblick. Dann seufzte sie. »Wenn du es so sehen willst. Du hast große Ängste aufgebaut. Lass dir sagen, dass sie nicht berechtigt sind. Aber in einem Punkt hast du vielleicht wirklich recht: Wenn sich dein Zustand verschlimmert, bleibt mir nichts anderes übrig, als dir Medikamente zu verschreiben. Du wirst sehen, dass sie dir nur helfen werden.«
»Und all das, weil ich keine Lust habe, dauernd über meine Probleme zu reden?« Jetzt war er kleinlaut. Ricas Herz schlug schneller. Es war fast die gleiche Drohung, die Frau Jansen auch ihr gegenüber ausgesprochen hatte.
»Sag mir doch, was dich bedrückt, dann können wir auch darüber reden, wie wir das Problem lösen können. Wenn du magst, auch ganz ohne Medikamente. Sie sind nicht die einzige Lösung, weißt du? Ich will dir doch nur helfen, Torben. Aber dafür musst du dir helfen lassen. Wenn ich nicht an dich herankomme, wenn ich nicht weiß, was dich bewegt, wie soll ich dann eine Lösung finden?«
Schweigen.
»Ich weiß nicht, ob es überhaupt eine Lösung für meine Probleme gibt.« Torbens Stimme war nur mehr ein Flüstern, kaum zu verstehen.
»Es gibt immer eine Lösung. Wir müssen sie nur angehen.« Frau Jansen hörte sich an wie eine nette Großmutter. Sanft und geduldig und verständnisvoll.
Schweigen. Eine lange, lange Pause, die dieses Mal nicht mal von Frau Jansen unterbrochen wurde. Sie schien zu spüren, dass ein weiteres Einreden auf Torben überhaupt keinen Nutzen haben würde. Schließlich sprach er wieder, und seine Stimme war dieses Mal so leise, dass Rica die Aufnahme zurücksetzen und die Lautstärke ein wenig aufdrehen musste, um ihn zu verstehen.
»Ich glaube, ich kann andere Leute dazu bringen, zu tun, was ich möchte.«
Die Aufnahme endete, und endlich löste sich Eliza aus ihrer Starre. Sie streckte sich und beugte sich dann nach vorn, um den Media Player auszuschalten.
Rica blinzelte und starrte den Bildschirm an. Torben hatte einen Knall, das war klar, trotzdem hatte etwas an dieser Aufnahme sie aufhorchen lassen. Jo hatte Torben erzählt, dass es auch von ihr Aufnahmen gebe. »Okay«, sagte sie schließlich. »Es liegt auf der Hand. Wir müssen in Jansens Büro einbrechen.«
»Du bist verrückt.« Eliza drehte sich auf dem Drehstuhl zu Rica um. »Warum willst du das machen?«
»Weil die Jansen definitiv etwas zu verbergen hat. Weil sie nicht möchte, dass ich Fragen stelle. Ich bin mir sicher, dass sie auch dahintersteckt, dass jemand Jos Sachen abgeholt hat.« Rica wandte den Kopf zum Fenster. Die Sonne ging gerade unter, und die Bäume zeichneten sich wie Schattenrisse vor einem roten Horizont ab. Ihre Gedanken schlugen wilde Purzelbäume. Eliza und sie hatten den Nachmittag damit verbracht, sich die Audiodateien anzuhören, die auf Torbens Rechner gewesen waren. Es waren viele, alles Aufzeichnungen seiner Therapiestunden. Offensichtlich hatte Torben es geschafft, sie irgendwie zu stehlen. Und Eliza hatte jetzt die letzte Kopie davon.
Nicht alle Dateien waren so spannend gewesen wie diese letzte, bei den meisten handelte es sich um elend lange Therapiesitzungen, bei denen Rica schon vom Zuhören ein schlechtes Gefühl bekam. Aber auch Torbens seltsame
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