Optimum 1
»Ist Pflicht, wenn … wenn man ein Stipendium bekommen hat«, murmelte sie.
Rica runzelte die Stirn. »Therapie ist Pflicht? Warum …« Doch sie verstummte mitten im Satz und hob den Kopf. Da! Da war es wieder. Das leise Quietschen und Ächzen von Holz, das von draußen kam. Schritte auf der Treppe.
Rica formte einen lautlosen Fluch mit ihren Lippen, meldete mit fliegenden Fingern den USB-Stick ab und riss ihn aus seinem Anschluss. Dann befahl sie dem Rechner rasch, herunterzufahren.
»Beeil dich!«, flüsterte sie. »Wenn wir leise sind …« Sie warf einen Blick in Richtung Tür und stopfte gleichzeitig den USB-Stick in den Aufschlag ihrer Socke.
Eliza sah von Rica zu dem Ordner vor sich, packte kurzerhand eine Handvoll Seiten und riss sie heraus. Bei dem Geräusch von reißendem Papier zuckte Rica unwillkürlich zusammen, es kam ihr so vor, als müsste man das bis draußen auf den Gang hören können. Inzwischen waren die Schritte am oberen Ende der Treppe angelangt und bewegten sich langsam den Gang entlang. Rica schaltete rasch die Schreibtischlampe aus.
Eliza faltete die Papiere eng zusammen, überlegte einen Moment und schob sie dann in ihren Hosenbund. Ein kleines Ende Weiß guckte noch heraus, aber sie wagte offensichtlich nicht, die Papiere noch tiefer zu schieben, weil sie sonst herausfallen konnten. Rica beobachtete sie, riss stumm einen Streifen Tesafilm von einem Spender auf dem Schreibtisch und reichte ihn Eliza. »Hier.«
So gut es ging, fixierte Eliza die Papiere mit dem Klebeband an der Innenseite ihrer Jeans, schlug den Ordner leise zu und schob ihn zurück an seinen Platz im Regal.
Die Schritte hatten die Tür nun fast erreicht. Panisch sah sich Rica im Büro um, verzweifelt auf der Suche nach einem Versteck, falls jemand hereinkommen sollte. Doch es gab kein Versteck. Eliza und sie hätten vielleicht gerade noch zusammen unter den Schreibtisch gepasst, aber das war doch sicher die erste Stelle, an der man nachsehen würde.
Außerdem war es sowieso zu spät. Die Klinke wurde bereits heruntergedrückt, jemand versuchte, die Tür aufzudrücken. Der Schlüssel klirrte leise, als das Metall der Klinke dagegen stieß – sonst passierte nichts. Rica erhob sich lautlos vom Schreibtischstuhl und ging zu Eliza hinüber, die wie festgefroren dastand und die Tür anstarrte. Noch einmal bewegte sich die Klinke, noch einmal wurde an der Tür gerüttelt – energischer dieses Mal. Doch sie blieb natürlich verschlossen. Rica griff nach Elizas Hand und drückte sie leicht. Die Finger ihrer Freundin fühlten sich eiskalt an, aber immerhin schenkte sie Rica ein dankbares Lächeln.
Von draußen kam nun ein leises, unwilliges Murmeln. Es schien nur ein einzelner Mann zu sein, und er klang alt. Vermutlich der Hausmeister. Er startete einen letzten Versuch mit der Tür, dann war eine Stimme zu vernehmen: »Ist da wer drin?« Eliza fuhr leicht zusammen bei den Worten und hätte um ein Haar dabei ein Foto vom Schreibtisch gestoßen. Rica drückte beruhigend ihre Hand und legte den Zeigefinger der anderen an ihre Lippen. Eliza nickte stumm.
Der Hausmeister knurrte wieder etwas, und dann – nach einer gefühlten Ewigkeit – entfernten sich die langsamen, schlurfenden Schritte von der Tür. Eliza atmete erleichtert auf, aber Rica wusste, dass es noch nicht vorbei war.
»Er weiß, dass jemand im Gebäude ist und den Schlüssel zu diesem Büro hat«, wisperte Rica. »Wir haben nicht viel Zeit. Ich weiß nicht, ob wir es wirklich raus schaffen, aber wir sollten zumindest aus dem Büro verschwinden. So können sie uns wenigstens nicht nachweisen, dass wir hier eingebrochen sind.« Sie ließ Elizas Hand los und ging langsam zur Tür, um ihr Ohr dagegenzupressen. Nichts zu hören, der Hausmeister musste nach unten gegangen sein. Sie nickte Eliza zu, drehte den Schlüssel im Schloss und schob die Tür leise auf. Der Flur lag immer noch so dunkel und verlassen vor ihnen wie vorhin, aber das täuschte natürlich. Der Hausmeister konnte jeden Moment zurückkommen. Rasch trat Rica auf den Flur, wartete, bis auch Eliza das Büro verlassen hatte, und schloss dann hinter ihr ab. Einen Augenblick lang blieb Rica noch stehen und betrachtete den Schlüssel in ihrer Hand. Was soll ich jetzt damit bloß machen?
»Wirf ihn doch einfach weg«, flüsterte Eliza.
Rica schüttelte den Kopf. »Darauf fallen sie nicht rein. Vielleicht schaffe ich es ja zurück ins Büro des Hausmeisters, oder zumindest in die Nähe, damit ich ihn
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