Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
sie konnte spüren, wie ihr Blut die Wange hinunterlief. Der alte Mann riss sich aus ihrem Griff los und stürzte mitsamt seinem Stuhl rückwärts. Mit einem schrecklichen, dumpfen Knall schlug er auf dem Fußboden auf und blieb dort zuckend und strampelnd liegen. Seine Hände krallten nun nach seiner Brust, als wollten sie ihm das Herz aus dem Leib reißen.
Eliza stand wie gelähmt da, bevor ihr schlagartig klar wurde, was sie in so einem Fall zu tun hatte. Herzanfall, dachte sie, und schnappte sich das Telefon vom Schreibtisch. Notarzt, sofort! Gibt es hier einen Defibrillator? Wo ist die Erste-Hilfe-Station? Mit zitternden Fingern begann sie zu wählen, doch im nächsten Moment durchzuckte ein scharfer Schmerz ihren Schädel. Eliza schrie auf, wirbelte herum und tauchte gerade noch rechtzeitig unter Felix’ zweitem Schlag weg.
»Was …?«
Er stand vor ihr, lauernd, in seinen Händen der Gehstock von Herrn Marten. »Sorry, Eliza. Aber ich kann nicht zulassen, dass du alles kaputtmachst«, sagte er, bevor er zum nächsten Schlag ausholte.
Eliza war so überrascht, dass sie dieses Mal nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte.
* * *
»Das hast du mich schon mal gefragt.«
Rica blinzelte. Sie tauchte aus etwas an die Oberfläche, das kein richtiger Schlaf war. Mehr wie tiefes, dunkles Moorwasser, in dem sie beim Tauchen die Orientierung verloren hatte.
»Wie bitte?« Ihre Zunge fühlte sich schwer an. Genau wie ihre Arme und Beine. Sie versuchte, sie zu heben, merkte dann aber, dass sie mit Gurten an eine Unterlage gefesselt war. Ein Krankenhausbett.
»Du hast mich schon einmal gefragt, wo du bist.« Die Stimme klang selbstgefällig und spöttisch. »Du bist immer noch bei mir, Rica.« Sie brauchte einen Moment, um den Sprecher einordnen zu können. Herr Wolf. Natürlich. Er hatte eine Spritze gehabt.
»Was wollen Sie …?«, begann Rica, verlor dann aber den Faden. Sie wusste nicht mehr genau, was sie eigentlich hatte sagen wollen.
»Ist das nicht klar? Ich will dich endlich loswerden. Dich, deine neugierigen Freunde und deinen Vater, den Verräter, am besten auch noch. Wenn ihr nicht wärt, wäre die ganze Sache nicht in Gefahr.«
»Sie wollen mich umbringen.« Ihr Mund fühlte sich trocken an. Rica blinzelte erneut und bewegte leicht den Kopf hin und her. Allmählich schälten sich aus der Umgebung, die bisher eintönig hell gewesen war, Konturen heraus. Sie befand sich immer noch in dem gleichen Zimmer, in dem sie die Besinnung verloren hatte. Nur dass sie jetzt auf ein Bett gefesselt war. Lange hatte ihre Betäubung vermutlich nicht angehalten. Herr Wolf stand leicht über sie gebeugt da und lächelte bitter.
»Aber nicht doch. Ich werde dich nicht umbringen. Das wirst du selbst tun. Nicht absichtlich, natürlich, aber man weiß ja, was bei einem solchen Fluchtversuch alles schief laufen kann. Da läuft man in eine falsche Richtung, und dann kann es sein, dass man stürzt, oder so etwas …«
»Das passt aber nicht gerade dazu, dass Sie mich an ein Bett gefesselt haben«, knurrte Rica. »Das sieht dann nicht mehr nach einem Fluchtversuch aus, wenn ich das mal so sagen darf.«
Er lächelte. »Natürlich nicht. Du wirst ja auch nicht lange in diesem Bett bleiben. Nur lange genug, bis ich dir die Situation erklärt habe. Ich bin nämlich kein Unmensch. Selbst ich habe Probleme damit, eine ganze Reihe von Jugendlichen umzubringen, besonders, wenn der Großteil davon zu unserem Projekt gehört. Also wirst du mir jetzt zuhören, und wenn wir zu einer Übereinkunft kommen, können deine Freunde vielleicht weiterleben.«
Ricas Magen krampfte sich zusammen. Ihr Hals wurde eng, und die nächsten Worte brachte sie kaum heraus. »Ich soll mich also umbringen, damit Robin, Eliza und Nathan …«
»Nathan nicht. Mit der DNA haben wir schon zu viel Ärger«, warf er sofort ein. »Ich weiß überhaupt nicht, warum man es für eine gute Idee hielt, noch einen von der Art zu züchten.«
»Noch einen?« Rica hatte den Faden verloren.
Herr Wolf schnaubte. »Du musst nicht nur ein bisschen dämlich sein, sondern auch blind wie ein Maulwurf. Dein geschätzter Nathan ist ein Klon. Wir haben die befruchtete Eizelle damals ein paar Mal geteilt, man wusste ja nie, wann man sie noch brauchen konnte – der erste verbesserte Mensch und überhaupt das erste Retortenkind. Dann hat irgendjemand in der Chefetage beschlossen, dass, nachdem uns dein feiner Vater davongelaufen ist, man doch einen neuen Versuch wagen könnte.
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