Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
länger dran, wenn du willst.«
Ihre Mutter schenkte ihr einen seltsam nachdenklichen Blick. Für einen Augenblick glaubte Rica, sie würde tatsächlich nachgeben. Doch dann schüttelte sie den Kopf.
»Ich meine, was ich sage«, erwiderte sie ruhig. »Geh auf dein Zimmer und bleib da!«
Rica biss die Zähne zusammen und schluckte eine Erwiderung hinunter. Ohne noch ein Wort zu verlieren, stopfte sie ihre Schulsachen in den Rucksack zurück, schwang diesen über eine Schulter und ging in Richtung ihres Zimmers.
»Warst du beim Arzt?« Die Stimme ihrer Mutter holte sie ein, noch bevor sie die Tür zu ihrem Zimmer aufgezogen hatte.
Rica schüttelte den Kopf, drehte sich jedoch nicht noch einmal um.
»Willst du mir sagen, wie das passiert ist?« Wie konnte die Frau nur so gelassen bleiben? Gerade eben noch hatte sie am Rande eines Wutanfalls gestanden.
»Ich bin gestürzt«, erwiderte sie ausweichend. »Du musst dir keine Sorgen machen. Frau Gerritsen war die ganze Zeit da.« Das war vielleicht ein bisschen weit von der Wahrheit entfernt, aber auch nicht vollkommen falsch. Immerhin war es während des Unterrichts passiert.
»Es sieht schlimm aus.«
Rica zuckte mit den Schultern. Sie war sich fast sicher, dass ihre Mutter ihr nicht ganz glaubte, aber selbst wenn sie bei Frau Gerritsen nachfragte, würde sie keine andere Geschichte zu hören bekommen.
»Geh, bitte!« Ihre Mutter klang unendlich müde, aber Rica wollte es nicht gelingen, Mitleid für sie aufzubringen. Sie atmete tief durch und ging dann endlich in ihr Zimmer.
Sie widerstand der Versuchung, die Tür hinter sich zuzuschlagen – es gab keinen Grund, ihre Mutter noch wütender zu machen –, aber sie schloss hinter sich ab und steckte den Schlüssel ein. Dann erst ließ sie den Rucksack auf den Boden gleiten und begann, nachzudenken. Sie konnte jetzt Robin anrufen und ihm sagen, dass aus dem Treffen nichts werden würde. Dann musste sie ihm natürlich gleich auch gestehen, dass die Geschichte mit dem Schlüssel nicht so gut gelaufen war. Irgendwie kam ihr das als Auftakt für den Abend ziemlich schlecht vor.
Oder sie konnte natürlich doch ins Kino gehen. Dann durfte ihre Mutter nichts davon mitbekommen, so viel war klar. Wenn Rica Pech hatte, würde sie die nächsten Stunden im Esszimmer verbringen, nur damit Rica nicht entkommen konnte. Aber auch ihre Mutter musste ab und zu auf die Toilette. Besonders, wenn sie so viel Kaffee getrunken hatte wie heute. Rica war sich sicher, dass sie mindestens eine Kanne geleert hatte. Das tat sie immer, wenn sie unglücklich war.
Hastig traf Rica ihre Vorbereitungen. Sie schlüpfte in eine dunkle Jeans und ein Longsleeve, sie wollte sich möglichst leise bewegen können. Aber weil das auch ihr Kinoabend war, kramte sie ein paar Accessoires heraus und stopfte diese in einen bunten Tuchrucksack. Zurechtmachen konnte sie sich später. Jetzt musste sie aufpassen, wann ihre Chance kam.
Sie würde die Tür wieder hinter sich abschließen, sodass ihre Mutter auch keinen Blick ins Zimmer werfen konnte. Für den Fall, dass sie vielleicht durchs Schlüsselloch sah, eilte Rica zum Bett und stopfte ihren Schulrucksack und einige Klamotten so unter die Decke, dass eine annährend menschenähnliche Gestalt entstand. Sie blieb einen Augenblick stehen, um ihr Werk zu begutachten. Perfekt war es nicht, aber es würde ja schließlich auch immer dunkler werden. Irgendwann würde die Täuschung nicht mehr auffallen.
Danach legte sie sich auf die Lauer. Das Ohr an die Tür gepresst, stand sie da und lauschte auf das leise Kratzen des Kugelschreibers ihrer Mutter. Es dauerte gar nicht lange, und sie hörte, wie ihre Mutter sich erhob und zum Badezimmer ging. Rica wartete das Klappen der Tür gar nicht erst ab, wie der Blitz drehte sie den Schlüssel im Schloss, riss die Tür auf und schlüpfte hinaus. Noch schnell zuschließen, dann huschte sie so leise sie konnte zur Tür.
Aus dem Badezimmer hörte sie Wasser rauschen. Jeden Moment konnte ihre Mutter wiederkommen. Rica machte vorsichtig die Haustür auf und zog sie hinter sich ins Schloss, in der Hoffnung, dass das leise Klicken über dem Wasserrauschen nicht auffallen würde.
Dann war sie auf der Treppe und jagte immer zwei Stufen auf einmal nehmend hinunter. Erst als sie ins Freie trat und ihr die kühle Nachtluft entgegen schlug, atmete Rica auf. Ihr Kopf schmerzte wieder ein wenig, und irgendwo tief drinnen wusste sie, dass diese Aktion grenzwertig dämlich gewesen war,
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