Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
offensichtlich hatte sie ihren Besuch erwartet.
»Ich wollte das Mädchen mitbringen. Sie wissen schon. Die kleine Lentz«, sagte Frau Jansen und trat zu dem Mann am Auto. Bei der Erwähnung ihres Namens zuckte Rica leicht zusammen. Was wollte Frau Jansen jetzt schon wieder von ihr?
»Warum machen Sie sich die Mühe?« Der Mann klang ein wenig verärgert. »Es geht hier nicht um das Mädchen. Wir brauchen Sie. Dringend. Ich dachte, das wäre Ihnen schon mitgeteilt worden.«
»Ricarda steckt ihre Nase wieder in Angelegenheiten, die sie nichts angehen«, meinte Frau Jansen kühl. »Ich dachte, wir könnten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und sie gleich mitnehmen. Es wird Zeit, dass sie jemand unter Kontrolle bringt.«
»Aber?«, wollte der Mann wissen. Er warf wieder einen Blick auf seine Armbanduhr, als wolle er klarmachen, dass er eigentlich überhaupt keine Zeit für so etwas hatte.
»Aber ihre Mutter hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Hat mich vor der Tür abgefangen und mir allerlei rechtlichen Humbug um die Ohren gehauen. Leider hat sie mit dem meisten recht. Wir können Rica nicht einfach so mitnehmen, nicht ohne eine Einweisung.«
Der Mann am Auto zuckte mit den Schultern. »Wie ich schon sagte, es geht hier sowieso nicht um sie. Sie müssen sich Michelle ansehen. Es ist dringend.« Er löste sich von der Autoseite, trat an die Beifahrertür und öffnete sie, offensichtlich in der Erwartung, dass Frau Jansen gleich einsteigen würde. Doch die rührte sich nicht.
»Ich dachte, es ging um das Optimum. Jetzt sagen Sie mir, dass Sie dieses Theater lediglich wegen eines kleinen Mädchens veranstalten? Das ist doch wohl kaum meine Zeit wert.« Jetzt war sie es, die verärgert klang. »Ich habe mich hier um wichtigere Dinge zu kümmern. Auch wenn es Olivers Tochter ist, ihr habt doch noch andere Psychologen vor Ort.«
Rica konnte die Ungeduld des Mannes in seiner Stimme hören. »Keine von Ihrem Format.« Offensichtlich schien Frau Jansen davon überhaupt nicht überzeugt zu sein, denn er fügte etwas leiser hinzu. »Es gibt beunruhigende Entwicklungen.«
»Wie beunruhigend?« Frau Jansen trat jetzt doch ein wenig näher an das Auto heran. Rica konnte an ihrer Stimme hören, dass ihre Neugier geweckt war.
»Sie wird gewalttätig«, gab der Mann am Auto zu.
»Das ist keine neue Entwicklung.« Frau Jansen winkte ab, aber ihr ganzer Körper sagte, dass sie dennoch interessiert war.
Der Mann seufzte hörbar. »Sie hat den Hund umgebracht«, sagte er widerstrebend.
»Den Hund?«
»Den Schäferhund der Familie.« Seine Stimme war so beiläufig, dass ein eisiger Schauer über Ricas Rücken lief. »Und sie hat ihre Therapeutin verletzt.«
Rica konnte geradezu spüren, wie Frau Jansens Bluthundinstinkte ansprangen. »Verletzt? Wie?«
»Mit einem Küchenmesser. Sie hat es vorher geschärft.« Der Mann zögerte eine Sekunde. »Wir mussten die Frau in die Klinik bringen.«
Frau Jansen atmete tief durch. »Diese Entwicklung ist in der Tat etwas Neues.« Sie trat auf das Auto zu. »Gut, bringen Sie mich hin. Aber lassen Sie jemanden zurück, der ein Auge auf die kleine Lentz hat. Sie könnte sich durchaus zu einem Problem entwickeln.«
»Ich kümmere mich darum«, meinte der Mann und schlug die Autotür hinter Frau Jansen zu. Im nächsten Moment setzte sich der Wagen in Bewegung, wendete und brauste davon. Der Mann blieb einsam auf dem Vorplatz zurück und sah dem Auto hinterher, bevor er sich umwandte und die paar Stufen zum Eingang hinaufstieg.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Rica nicht mehr am ganzen Körper zitterte. Scheinbar eine Ewigkeit war vergangen, bis sie es wagte, sich zu erheben. Die Zweige und Blätter über ihr raschelten, als sie dagegen stieß, doch es war niemand hier, der sie hören konnte. Sie war wackelig auf den Beinen, als sie endlich aus dem Fliederbusch hinaus und auf den Weg trat.
Es war ruhig. Der Wind blies noch immer heftig und riss den Geruch der Fliederblüten geradezu vor Ricas Nase weg, sodass alles, was sie wahrnahm, Frische und Kälte war. Aber der Wind konnte nicht die Erinnerung an das Gespräch verwehen, das sie gerade belauscht hatte.
Michelle.
Nicht, dass sie Michelle Kaltenbrunn besonders gemocht hatte, als sie ihr auf der Skihütte begegnet war. Sie war ein eingebildetes, hochnäsiges kleines Mädchen, und Rica hätte ihr am liebsten mal gesagt, was sie von ihr hielt. Aber dass sie gewalttätig werden könnte, hätte sie nicht gedacht. Sie hat
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