Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
sich die Decke über den Kopf ziehen. Aber wenn sie erst einmal den ersten Schritt in Richtung des Hofes gemacht hatte, wusste sie, würde sie nicht mehr umkehren. Eliza starrte in den Regen. Sie hätte jemandem Bescheid sagen sollen, aber Rica war so sehr in ihrem eigenen Elend versunken gewesen, dass Eliza nicht zu Wort gekommen war. Und sonst? Robin würde ihr die Sache ausreden, und niemand ihrer anderen Freunde hatte auch nur die geringste Ahnung, was hier eigentlich vorging.
Nein, es war Zeit, selbst mutig zu werden.
Der Weg zum Haus kam ihr länger vor als sonst, aber vielleicht lag das auch nur daran, dass sie vor lauter Regen kaum etwas erkennen konnte. Der Wind war noch stärker geworden, und die Bäume im Wäldchen ächzten verdächtig, als Eliza den Weg hinunterlief. Kein Mensch war zu sehen, vermutlich hatten sich alle im Warmen verkrochen. Die aneinander reibenden Äste quietschten schrill, beinah klang es wie das Schreien einer gequälten Seele.
Hastig lief sie weiter, froh, als sie endlich auf die freie Fläche kam, die langsam bis zum Bauernhaus abfiel. Rechter Hand hatten sich die Ponys in einen Unterstand geduckt, der kaum groß genug schien für all ihre nassen Leiber. Eines von ihnen warf Eliza einen vorwurfsvollen Blick zu, als sie an ihm vorbeilief.
»Ich sag Bescheid, dass ihr einen größeren Stall braucht«, rief Eliza dem Pony zu und kicherte gleich darauf. Sie musste vollkommen den Verstand verloren haben.
Das alte Bauernhaus lag dunkel und wie tot da. Der früher so gepflegte Gemüsegarten war in der kurzen Zeit, seit der Frühling gekommen war, schon verwildert, und das Hühnerhaus stank, weil niemand sich die Mühe gemacht hatte, es zu säubern, als man die Hühner abgeholt hatte. Eliza hielt kurz inne und überlegte noch mal, ob es nicht besser wäre, einfach umzukehren, aber dann schüttelte sie den Kopf und rief sich selbst zur Ordnung.
Da musst du jetzt durch. Es ist für Nathan. Und für Rica. Und für dich. Also los doch, du alter Feigling!
Eliza trat vor das große Tor und zog vorsichtig einen Flügel auf. Die Halle dahinter war genauso dunkel wie vorgestern, aber es gab einen Unterschied: Unter der Tür zum Haupthaus fiel ein gelblicher Lichtschein auf den Boden und beleuchtete das Pflaster. In der Luft hing ein ganz feiner Geruch nach Kaffee.
Eliza zog die Jacke enger um sich und ging langsam auf die Tür zu. Noch bevor sie sie erreicht hatte, wurde diese von drinnen aufgestoßen, und ein dunkler Schatten zeichnete sich vor dem hellen Flur ab.
»Wie schön, dass du es geschafft hast.« Andreas Stimme klang vollkommen ehrlich, aber dennoch musste Eliza schaudern. Das letzte Mal, als sie sie gehört hatte, hatte Andrea ihren Tod befohlen.
Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte, also blieb sie einfach stumm und ging nur langsam näher an die Gestalt heran. Andreas Silhouette im Türrahmen wandte sich ein wenig zur Seite, sodass das Licht eine Gesichtshälfte beleuchtete. Kein Zweifel – es war Andrea. Sie sah nicht einmal besonders schlecht aus, nicht so, wie Eliza sich einen Flüchtling vorgestellt hätte. Sie hatte ihr blondes Haar hochgesteckt und trug eine einfache Jeans und ein sauberes Holzfällerhemd. Als Eliza noch näher kam, konnte sie einen feinen Geruch nach Shampoo wahrnehmen, und ihr wurde klar, dass Andrea sich vermutlich einfach an ihrem alten Kleiderschrank bedient hatte. Wie lange sie sich hier wohl schon versteckt hielt?
»Komm rein. Ich habe Kaffee. Sonst nichts, aber immerhin.« Andrea lachte. Es war ein warmes, freundliches Lachen, eines, das Eliza noch aus vergangenen Kletterkursen kannte. Ein Lachen, das zu der Andrea gehörte, die noch kein Schreckgespenst war. »Es ist nicht leicht, an Lebensmittel zu kommen«, sagte sie in sachlichem Tonfall, als wäre diese Situation die normalste der Welt.
»Klar«, murmelte Eliza und schob sich an Andrea vorbei in den Hausflur. Gleich darauf wurde ihr bewusst, dass das ein großer Fehler gewesen war. Jetzt hatte sie Andrea den Rücken zugewandt und konnte nicht mehr sehen, was die vorhatte. Am liebsten hätte sie sich umgedreht, aber ihr war klar, wie paranoid das aussehen würde. Also ging sie mit festen Schritten den Gang entlang und tat so, als hätte sie nie etwas anderes vorgehabt.
In dem kleinen Wohnzimmer am Ende des Ganges waren die Rollläden heruntergelassen, und die einzige Beleuchtung stammte von einer kleinen Lampe auf dem Couchtisch. Eliza blieb stehen, als sie die Sofaecke sah, und
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