Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
Jahre, und sah noch überhaupt nicht verbissen aus. Sie strahlte aus dem Foto heraus und hatte einen Arm locker um die Schulter des Mädchens neben ihr gelegt.
»Hab ich dich«, flüsterte Rica. »Marienschule in Altbühl«. Sie grinste, öffnete ein weiteres Browserfenster und gab den Namen der Schule und den Ort ein. Volltreffer. Dieses Kaff war gar nicht so weit von hier entfernt, etwa zwei Stunden mit Bus und Bahn. Und dann konnten sie mit Michelle reden. Die hatte doch mit ihrem Wissen so angegeben. Sollte sie doch mal zeigen, was sie wirklich wusste.
Rica zog einen Block aus Robins Rucksack und begann damit, sich die Wegbeschreibung zu notieren. Als sie damit fertig war, sah sie auf. Robin war noch nicht zu sehen. Rica runzelte die Stirn und warf einen kurzen Blick auf die kleine Uhr am Bildschirm. Sie war schon über eine halbe Stunde hier. In der Zeit musste man doch in der Innenstadt einen Geldautomaten finden und wieder hierher zurückkommen können?
Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Was, wenn sie jetzt doch irgendjemandem aufgefallen waren? Dem Busfahrer vielleicht? Oder wenn sie Robins Bankkarte kontrollierten? Warum hatten sie daran nicht gedacht?
Sie musste sehen, wo er blieb. Wenn sie sich verpassten, konnte sie immer noch zu diesem Internetcafé zurückkehren.
Rica erhob sich, zahlte an der Theke ihren Kaffee und ihre Onlinezeit und schwang sich den Rucksack über die Schulter. Doch als sie in Richtung Tür sah, bemerkte sie die ersten Menschen, die aufgeregt an der Glasfront vorbeiliefen, eine Mischung aus Angst und Neugierde auf ihren Gesichtern. Ricas Magen zog sich noch weiter zusammen. Oh nein!
Rasch verließ sie das Café. Immer mehr Leute rannten an ihr vorbei. Rica schloss die Augen und schickte das erste Stoßgebet seit Jahren los, bevor sie sich zusammenriss und dem Menschenstrom folgte. Sie musste nicht weit gehen. Und was sie sah, ließ sie die Wirksamkeit von Gebeten einmal mehr anzweifeln.
Ein kleines Stück die Straße hinunter kreuzte eine kleine Verkehrsstraße die Fußgängerzone, hübsch abgegrenzt durch eine Reihe von Metallstangen. Ein Auto stand quer über der Kreuzung, ein heller, moderner Kleinwagen – jetzt ziemlich verbeult von seinem Zusammenprall mit einer der Stangen. Und nur ein kleines Stück weiter lag …
Robin.
Rica spürte, wie ihr alles Blut aus dem Gesicht wich. Eine Welle von Übelkeit stieg in ihr hoch und drohte, sie zu übermannen. Gleichzeitig schossen ihr die Tränen in die Augen. Robin! Nein, nicht auch noch Robin! Das kann nicht sein. Das ist ein böser Traum.
Er lag reglos da. Eine dunkle Lache breitete sich langsam aber unaufhaltsam unter seinem Kopf aus, verklebte sein Haar und wirkte unwirklich auf dem hellen Pflaster. Um ihn herum begannen sich, Leute zu versammeln. Rica konnte gemurmelte Gesprächsfetzen aufschnappen.
»… einfach auf die Kreuzung gelaufen.«
»Gar nicht hingesehen.«
»Aber dieser Raser …«
»… einen Krankenwagen gerufen?«
»Wo bleibt …«
»Jemand muss …«
Rica hörte nicht richtig hin. Vor ihren Augen tanzten dunkle Punkte. Ohne nach links oder rechts zu sehen, drängelte sie sich durch die Menge zu Robin hin. Die meisten Leute machten Platz, als wüssten sie, was los war. Aber ein paar fingen an zu fluchen, und manche von ihnen warfen Rica einen so scharfen Blick zu, dass sie sicher war, erkannt worden zu sein.
Es machte ihr nichts aus.
Tränen verschleierten ihren Blick, als sie endlich bei Robin angekommen war, und sich neben ihm auf die Knie niederließ. So viel Blut. So unendlich viel Blut.
Ricas Finger zitterten, als sie die Hand ausstreckte und Robins Wange berührte. Sie war blutverschmiert, und Ricas Fingerspitzen färbten sich sofort rot. Aber noch etwas geschah. Etwas, das für Rica an ein Wunder grenzte.
Robins Lider flatterten.
»Robin!« Ihre Stimme überschlug sich beinah, und mehrere Passanten in ihrer Nähe zuckten zusammen.
Wieder das sanfte Flattern. Jetzt konnte Rica auch sehen, dass Robin atmete. Aber die Augen öffnete er nicht. Rica beugte sich über ihn, tastete mit ihren Fingern über seinen Schädel, versuchte, die Wunde zu finden, versuchte, herauszubekommen, wie schlimm es war, aber alles, was sie spüren konnte, waren Blut und verklebte Haare.
»Robin.« Dieses Mal flüsterte sie es, und es war wie ein Flehen. Tränen rannen aus ihren Augen und tropften auf Robins Wangen.
»Rica.« Seine Stimme war heiser und so leise, dass sie sich noch weiter vorbeugen musste, um
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