Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
setzte. Sie musste das Bedürfnis unterdrücken, laut zu rufen, zu fragen, ob sich hier nicht doch jemand aufhielt. Das wäre zweifellos eine ziemliche Dummheit gewesen, denn wenn hier jemand mit einem Messer herumlief, war es vermutlich besser, möglichst unbemerkt zu bleiben.
Rica schlich die Stufen hinauf. Ganz gegen ihre Erwartung quietschten sie nicht unter ihren Schritten. Gleich darauf erreichte sie die Galerie und sah sich wieder aufmerksam um.
Sie hatte keine Ahnung, was sie hier machte und wohin sie gehen sollte. Alle Türen waren geschlossen, Rica wusste nicht, wo sich die einzelnen Zimmer befanden und wer sich überhaupt in dem Haus aufhielt.
Am oberen Ende der Treppe blieb sie still stehen und lauschte. Vielleicht gab es ja doch irgendwas, irgendeinen Hinweis, irgendwas, das ihr weiterhalf.
Da hörte sie es. Ein leises, etwas unmelodisches Summen, keine echte Melodie, mehr ein Singsang, wie sehr kleine Kinder ihn vor sich hin singen. Es war wirklich sehr leise, kaum zu hören, selbst in dem stillen Haus, aber als Rica es einmal wahrgenommen hatte, ging es ihr auch nicht mehr aus dem Kopf. Sie kniff die Augen zusammen und lauschte weiter angestrengt.
Es kam von links. Irgendwo ein Stück die Galerie entlang hinter einer Tür summte jemand. Leise machte sich Rica auf den Weg dorthin. Ein dicker, weißer Wollläufer dämpfte den Klang ihrer Schritte, aber ihre Atemzüge kamen ihr geradezu verboten laut vor, als das Summen langsam immer deutlicher zu hören war. Rica war überzeugt, gleich über den Messermörder zu stolpern.
Stattdessen stieß sie auf eine Tür, die nur angelehnt war. Im Zimmer dahinter schien kein Licht zu brennen, aber es war klar, dass das Summen hierher kam. Immer die gleichen drei, vier Noten, wirr angeordnet, als versuche jemand, der leider nur ein sehr eingeschränktes Musikverständnis hatte, zu komponieren.
Rica beugte sich vor und legte das Auge an den Türspalt.
Im Zimmer war es finster. Undeutlich konnte Rica die blassen Streifen erkennen, die das Mondlicht durch eine halbgeschlossene Jalousie warf, aber für mehr reichte das Licht kaum. Irgendwelche massigen Möbelstücke verstellten ihr die Sicht zusätzlich.
Aber sehen war ja nicht alles. Rica schnupperte vorsichtig, dann wandte sie ihren Kopf ab, bevor ihr übel wurde. Ein nur allzu bekannter Geruch drang aus dem Raum. Metallisch, etwas faul, als würde etwas darin verwesen. Es roch nicht ganz so intensiv wie damals bei Jo, aber dennoch war es unverkennbar.
Blut.
Rica wich von dem Türspalt zurück. Ihre Finger zuckten zur Tastatur ihres Handys. Erklärung oder nicht, es gab wirklich keinen Grund mehr, nicht die Polizei zu rufen. Vielleicht konnte sie es anonym machen und dann ganz schnell von hier verschwinden.
»Du kannst ruhig reinkommen, ich weiß, dass du da bist.« Die helle Mädchenstimme war so klar und süß wie die eines Engels. »Ich hab schon Besuch erwartet.«
Rica zuckte zusammen und wich noch einen Schritt von der Tür zurück. Sie sah sich um. Ob sie schnell genug rennen konnte?
»Du bist Rica, nicht wahr? Wir kennen uns aus dem Skiurlaub.« Die Mädchenstimme machte eine Pause. »Ich kann dich riechen, weißt du? Ich glaube, das hängt auch irgendwie mit den Pheromonen zusammen. Komm rein! Ich tu dir nichts. Wir sind auf der gleichen Seite.«
Rica blieb wie angewurzelt stehen. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie wäre nicht in der Lage gewesen, sich zu bewegen. Sie kam sich vor wie angefroren.
Das Mädchen hinter der Tür seufzte. »Nun komm schon! Ich tu dir wirklich nichts. Ich will nur reden.«
Rica spürte es dieses Mal deutlich. Die Welle von Vertrauen, die über sie schwappte, die ihr sagte, dass mit dem Mädchen alles in Ordnung wäre, dass sie ihr vertrauen konnte, dass sie im Grunde die besten Freundinnen sein konnten, wenn sie nur wollten. Rica kannte das Gefühl, in stark abgeschwächter Form, von Eliza. Eliza hatte nicht oft ihre Fähigkeiten gegen Rica eingesetzt, aber dennoch war diese inzwischen feinfühlig für diese Art von Manipulation geworden.
Nur war das hier viel stärker, als alles, was sie je von Eliza mitbekommen hatte. Rica wusste, dass sie manipuliert wurde, wusste, dass ihre Gedanken nicht ihrem eigenen Kopf entsprungen waren, aber das hinderte sie nicht daran, trotzdem einen Schritt zur Tür hin zu machen. Mutig schob sie die Tür weit in ihren Angeln auf und drückte den Lichtschalter neben der Tür.
Nichts passierte. Der Raum blieb so dunkel wie zuvor,
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