Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
die Polizei verraten«, stieß sie hervor und versuchte gleichzeitig, das Handy irgendwie zu verbergen.
Michelle zuckte mit den Schultern. »Du lügst«, sagte sie schlicht. Dann ließ sie sich im Schneidersitz auf dem Schreibtisch nieder. »Zu deiner anderen Frage: Außer mir ist niemand hier. Papa ist in sein Labor gefahren, und hat Großvater mitgenommen. Mama ist im Urlaub. Ich war allein hier – mit ihr!« Sie lächelte in Richtung von Frau Jansen.
Rica wich einen Schritt von der Tür zurück und warf einen Blick über ihre Schulter. Ob sie schnell genug rennen konnte? Michelle war kleiner als sie und eventuell konnte sie sie nicht einholen. Aber Rica war sich nicht sicher, ob das Mädchen das Messer nicht auch werfen konnte. Und außerdem wusste sie, wozu Michelle fähig war. Wenn sie wollte, konnte sie Rica dazu bringen, quasi alles zu tun.
Was die Frage aufbrachte, warum sie das nicht schon längst gemacht hatte. Rica blinzelte verwirrt. Bisher hatte sie zu viel Angst gehabt, um irgendwie logisch zu überlegen, aber offensichtlich konnte man nicht einfach so an einem Stück vor Angst vergehen. Langsam schien ihr Verstand wieder einzusetzen.
»Was willst du von mir?«, fragte sie leise. Ihre Stimme klang immer noch rau, aber Rica bemerkte stolz, dass sie auch ein wenig gefasster klang als zuvor.
Michelle lächelte. »Eigentlich müsste ich dich das fragen. Immerhin bist du hierher gekommen, nicht?« Sie klang wieder zuckersüß und unschuldig.
»Ich wollte herausfinden …«
Doch Michelle ließ sie nicht ausreden. Mit Schwung sprang sie vom Schreibtisch und näherte sich Rica auf leisen Sohlen wie eine Katze. Je näher sie kam, desto intensiver wurde der Blutgeruch, der von ihr ausging.
»Du und dieser blonde Junge und diese Schnepfe mit den roten Haaren, ihr seid hinter dem Institut her, nicht wahr?«, meinte sie leichthin. »Ich habe im Skiurlaub beobachtet, wie ihr immer zusammengehockt habt, und ihr habt die Papiere, die Herr Röhling mitgebracht hatte, kopiert.«
Rica runzelte die Stirn und versuchte, sich daran zu erinnern, wann Michelle die Papiere gesehen haben konnte. Sie hatten sich eigentlich nur einmal zu dritt besprochen, danach waren die Papiere verschwunden gewesen. Das war kurz vor der großen Schlägerei passiert, die die halbe Skihütte lahmgelegt hatte und nach der sich keiner so recht daran erinnern konnte, was geschehen war. Rica hatte damals Saskia im Verdacht gehabt, die Papiere gestohlen zu haben.
» Du hast die Papiere gestohlen?« Zum ersten Mal überwog Ricas Neugier ihre Angst. »Warum?«
»Weil ihr nicht hinter meinem Pa herspionieren solltet«, gab Michelle zurück. »Außerdem wollte ich auch wissen, was drinstand.«
»Warum?«, wiederholte Rica und kam sich dabei kreuzdämlich vor. Aber sie wusste nicht, was sie sonst fragen sollte. »Was hast du denn schon davon? Du musst das doch alles ohnehin wissen, wenn dein Vater …«
»Du glaubst, der sagt mir alles?« Michelle schnaubte und trat noch einen Schritt näher an Rica heran. Sie berührten sich nun fast. Der Blutgeruch war übermächtig, und wieder stieg Übelkeit in Rica hoch. Außerdem war sie sich nur zu bewusst, dass die Klinge des Jagdmessers nur wenige Zentimeter von ihr entfernt war. Am liebsten hätte sie noch einen Schritt zurück gemacht, aber sie konnte die Brüstung der Galerie im Rücken spüren. Es gab keinen Ort, wohin sie fliehen konnte.
»Nach allem, was du gesagt hast … Du weißt doch, wofür dieses ganze Projekt gut ist, oder? Du hast es Eliza gesagt.« Rica schluckte. Michelle drängte sich jetzt geradezu an sie. Sie konnte jeden einzelnen Blutschmierer in ihrem Gesicht ausmachen, und sie hatte den schrecklichen Verdacht, dass Michelle sich diese mit Absicht selbst verpasst hatte. Eine Art Kriegsbemalung aus Blut.
»Ich weiß nur eins: Wir sollten die Elite sein«, flüsterte Michelle, aber sie war so wütend, dass ihre Stimme wie ein Zischen klang. »Wir waren die zweite Generation. Wir sollten perfekt sein. Das haben alle gesagt. Aber jetzt haben sie alles kaputtgemacht.«
Rica schob sich ein kleines Stück seitwärts von Michelle weg, doch diese folgte ihr unerbittlich.
»Wer hat das gesagt? Was geht hier vor? Was willst du?«
Michelle grinste. »Ich will Rache«, sagte sie schlicht. »Ich will perfekt sein. Ich will nicht, dass mir irgend so eine Göre den Rang abläuft, die nicht mal seine Tochter ist.«
Rica wurde immer verwirrter. Allerdings registrierte sie mit einer gewissen
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