Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
dass sie diesen Ort allein auf gar keinen Fall gefunden hätte. »Warum bist du einfach reingefahren?«, wollte sie wissen. »Jetzt haben sie uns doch auf ihren Kameraaufzeichnungen.«
Ihr Vater kramte eine Karte aus dem Handschuhfach und entfaltete sie sorgsam. »Wir sind nur Touristen, die sich verfahren haben«, meinte er. »Ist schließlich ein Mietwagen. Und ich wollte, dass du das hier siehst.«
»Warum?«, fragte Rica wieder. »Was habe ich davon?«
»Zum Beispiel die Erkenntnis, dass du hier überhaupt nicht ohne Hilfe reinkommen wirst?« Ihr Vater tat, als studiere er die Karte. Für die Kamera musste er tatsächlich wie ein verirrter Autofahrer wirken.
Rica sah den Zaun entlang. »Ich könnte einfach irgendwo drüberklettern«, meinte sie. »Kein Stacheldraht. Kein Strom. Und überall werden sie wohl kaum Kameras haben.«
»Selbst wenn, sie werden dich über eine Entfernung von mehreren Kilometern sehen«, gab ihr Vater zurück. »Du kannst über den Zaun klettern, aber so flach, wie es hier ist, kannst du nirgendwo untertauchen. Verstecken geht nicht. Wenn du also nicht gerade durch die eiskalte Nordsee schwimmen möchtest, hast du keine Möglichkeit, unentdeckt da reinzukommen.«
Rica presste die Lippen aufeinander. Sie musste zugeben, dass ihr Vater recht hatte. Diese Umgebung taugte überhaupt nicht, um sich zu verstecken. Aber trotzdem musste sie es doch irgendwie versuchen.
»Wenn du also geglaubt hast, du könntest deine Freunde da irgendwie selbst rausholen, dann vergiss es schnell wieder«, meinte ihr Vater. »Können wir jetzt meinem Plan folgen?«
Rica knurrte. Sie hatte keine Lust, ihm darauf zu antworten. Ihr Vater lachte leise, wendete das Auto, und sie rollten langsam in den Ort zurück.
»Und was jetzt?«, wollte Rica wissen, als sie vor einem der kleinen Hotels direkt am Deich hielten.
»Jetzt mache ich meine Verabredung mit meinem Kontakt klar. Wenn du unbedingt drauf bestehst, kannst du dabei sein.«
Rica verzog das Gesicht. Das war nicht gerade das, was sie sich unter einem direkten Angriff auf das Institut vorgestellt hatte. Doch dann dachte sie wieder an die weite, offene Fläche zwischen dem Zaun und dem Institut. Sie seufzte.
»Wann?«, wollte sie wissen.
»Heute Abend, wenn es geht. Morgen oder übermorgen spätestens«, erwiderte ihr Vater. Aus seiner Jackentasche holte er ein Handy. »Willst du deine Mutter anrufen und ihr sagen, dass du okay bist?«
Rica zögerte. »Sie wird wissen wollen …«, begann sie, aber dann unterbrach sie sich. Natürlich würde ihre Mutter wissen wollen, wo sie war. Rica konnte es ihr nicht einmal verdenken. Das war kein Grund, sie noch länger in Angst und im Ungewissen zu lassen. Rica griff nach dem Handy, wandte sich ab und stieg eine kleine Treppe auf den Deich hinauf. Für diesen Anruf wollte sie lieber allein sein.
Einige Stunden später saß Rica wieder auf einer Bank auf dem Deich. Hinter ihrem Rücken versank die Sonne und verlieh dem Meer eine goldene Farbe. Es war ein friedliches Bild, viel friedlicher, als ihr aufgewühltes Inneres es ertragen konnte. Sie wollte aufspringen, weglaufen, zum Institut gehen, dort einbrechen, Eliza und Nathan und Robin mit bloßen Händen herausholen. Irgendetwas. Der Anruf bei ihrer Mutter hatte sie fürchterlich aufgewühlt. Sie hatte es nie erlebt, dass Ma den Tränen nahe war, und nur mit sehr viel gutem Zureden hatte sie sie davon überzeugen können, nicht gleich selbst zur Nordsee zu fahren und Rica abzuholen. Dafür hatte sie versprochen, übermorgen nach Hause zu kommen.
Übermorgen. So wenig Zeit. Sie sollte sie nutzen.
Stattdessen saß sie hier und wartete, bis der Kontakt ihres Vaters auftauchen würde. Sie hatte sich dagegen entschieden, bei dem Gespräch dabei zu sein. Erstens sah sie nicht, was sie dabei ausrichten konnte, außer im Weg zu sein, und zweitens traute sie dem Frieden nicht. Sie hatte keine Ahnung, wie so etwas normalerweise ablief, sie fühlte sich einfach nicht gut. Das war alles zu einfach. Es passte nicht ins Bild.
Rica fröstelte. Sie hatte eine Windjacke übergezogen, aber der kalte Wind schien immer noch eine Lücke zu finden, durch die er kriechen konnte. Immerhin hatte es nicht geregnet, eiskalt war es trotzdem. Besonders, wenn man den ganzen Tag draußen verbracht hatte.
»Du spinnst, Rica, komm doch wenigstens zum Essen rein«, hatte ihr Vater gesagt, als sie im Hotel aufgetaucht war und sich an der Bar einen Burger zum Mitnehmen geordert hatte.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher