OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
gewaltig großen Herd. Und Hanno saß bei ihnen, half ein wenig mit und starrte vor allem in den Dampf, der aus Töpfen und Kesseln aufstieg.
»Du bist ein Träumer, Hanno«, sagte die Mutter oftmals und sie meinte es nicht liebevoll oder gar bewundernd. »Lass nur den Vater mit deinem Traumspuk in Ruhe – sonst bekommst du noch die Ochsenpeitsche zu spüren!«
Ein einziges Mal hatte Hanno mitangesehen, wie der Vater einen Knecht mit dem Ochsenziemer gestraft hatte. Der Knecht, ein kräftiger Mann, den sonst nichts aus der Ruhe bringen konnte, hatte bereits nach dem dritten Hieb um Gnade gewimmert.
Hanno stellte sich damals lebhaft vor, wie er selbst unter einem solchen Hieb in tausend Stücke zerspringen würde – wie ein zerplatzendes Reisigbündel, dessen Inhalt in alle Himmelsrichtungen davonfliegt. Aber auch ohne diese Drohung wäre er nie auf den Gedanken gekommen, dem Vater oder seinen großen Brüdern von dem »Traumspuk« zu erzählen, der ihn bei Tag und Nacht beschäftigte.
Seine Einbildungskraft malte ihm unentwegt die ungeheuerlichsten Abenteuer vor. Während er bei den Mägden auf der Küchenbank saß und Karotten schabte oder Kerne aus Kirschen pulte, durchlebte er unerhörte Heldentaten. Mit einem Segelschiff fuhr er über die Meere und entdeckte Erdteile, von denen bis dahin niemand etwas geahnt hatte. Er kämpfte gegen hundertköpfige Drachen, die die Burg einer Prinzessin belagerten, befreite die Ärmste und warf sich vor ihr auf die Knie. Sie war die Liebe seines Lebens, nur deshalb war er ja über sämtliche Ozeane dorthin gesegelt. Und weil er nicht nur mit dem Schwert kämpfen, sondern auch selbst erdichtete Verse vortragen konnte, eroberte er schließlich auch das Herz seiner Liebsten.
»Traumspuk«, sagte die Mutter dazu. »Pass nur auf, dass der Vater nichts davon mitkriegt.«
Und dann tauchte eines Tages jener junge Poet in ihrer Küche auf. »Ich heiße Harmo«, sagte er und lächelte gewinnend.
Einige jüngere Mägde kicherten. »Hanno?«, tuschelten sie untereinander. »Wie unser Knochenmanderl?« Sie schauten verstohlen zu Hanno hinüber.
»Harmo«, berichtigte der reisende Dichter mit Honigstimme und erklärte auch gleich, was der Name bedeutete: »Wohlklang und Schmerz.« Er näherte sich Hannos Mutter und zog ehrerbietig die Mütze von seinem Lockenschopf. »Barmherzige Bäuerin, schenkt mir ein paar Happen gegen den ärgsten Hunger – ich habe seit Tagen außer Wurzeln und Beeren nichts zwischen die Zähne bekommen.«
Den Mägden stockte bei diesen Worten ebenso wie Hanno der Atem. Vom Verschenken hielt die Bäuerin noch weniger als von den Fantastereien ihres jüngsten Sohns.
Sie sah den kecken Burschen abschätzig an. »Für drei Heller kannst du eine Jause bekommen. Für gottlose Bettler habe ich eine andere Kost.« Sie nahm die Axt vom Wandhaken und wiegte sie in den Händen.
Doch der junge Poet lächelte sie nur noch strahlender an. Mit seiner schlanken Gestalt, den mohnroten Hosen und der froschfarbenen Weste sah er für Hanno aus wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt.
»Kupfermünzen habe ich nicht und Eure Axt kosten will ich allerdings auch nicht, werte Frau«, sagte Harmo. »Aber gestattet mir, Euch stattdessen eine romantische Weise vorzutragen. Und dann entscheidet, ob Euch dieser Wohlklang einen Kanten Brot und ein Stück Käserinde wert ist.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er in die Saiten seiner Viola, die er an einem bunten Band vor seiner Brust trug, und begann mit schmelzender Stimme zu singen.
Hannes erinnerte sich nicht mehr an den Wortlaut seiner Verse und auch von der Melodie hatte er nur ein paar verwehte Fetzen in seinem Gedächtnis bewahrt. Aber er würde niemals in seinemLeben die Verzückung vergessen, in die ihn Harmos Darbietung damals versetzte. Auch die Mägde waren von Harmos Gesang und wohl mehr noch vom Sänger selbst hingerissen, und sogar auf den starren Gesichtszügen der Bäuerin zeigte sich ganz kurz ein Abglanz nebelhaft erahnten Glücks.
Tausendfach stärker war die Wirkung, die Hanno verspürte. In seiner Fantasie war er der junge Held, von dem Harmo sang, und gleichzeitig der Poet, der diese ganze bunte Welt erschaffen hatte. Und desto entgeisterter war er, als Harmo seine Darbietung beendet hatte und die Mutter noch in die letzten Klänge hinein mit harter Stimme sagte: »Genug geplärrt, Kerl. Verschwinde jetzt – oder ich lasse den Hofhund von der Kette.«
Wie betäubt schaute Hanno hinter dem jungen
Weitere Kostenlose Bücher