OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Poeten her, der scheinbar unbekümmert zur Küchentür schlenderte und gleich darauf verschwunden war. Es kam Hanno vor, als ob er den jungen Mägden zuvor noch ein rasches Lächeln geschenkt und ihnen vielleicht sogar zugezwinkert hatte, doch Hanno war viel zu aufgewühlt, um darüber nachzudenken. Er wollte ein solcher fahrender Dichter wie dieser Harmo werden, das stand für ihn ganz und gar fest. Die Mutter und erst recht der Vater würden natürlich versuchen, ihn von diesem Plan wieder abzubringen, aber er würde standhaft bleiben. Während Hanno weiter am Gemüsetisch werkelte, sah er in leuchtenden Farben vor sich, wie er durch die Lande ziehen und die Leute mit seinen Versen erfreuen würde. Zuweilen würde vielleicht auch er ein wenig Hunger leiden, aber sein Appetit war ohnehin gering. Und anstatt bei verstockten Bauersleuten wie seinen Eltern aufzuspielen, würde er sein Glück lieber bei den Städtern versuchen – die hielten Dichtkunst bestimmt nicht für »Traumspuk« und schon gar nicht für Teufelszeug.
So jedenfalls malte sich Hanno in fiebrigen Tagträumen sein künftiges Leben aus und bekam noch weniger als gewöhnlich von den Dingen mit, die um ihn herum geschahen.
Einige Tage, nachdem der junge Poet verjagt worden war, ging Hanno zum Hühnerstall hinüber, wo er wie jeden Morgen dieEier einsammeln sollte. Im Gesindehaus gegenüber erblickte er eine schattenhafte Gestalt, die Harmo aufs Erstaunlichste ähnlich sah. Hanno hatte ihn aber nur ganz kurz gesehen, hinter einem halb offenen Fenster, das wohl zu den Schlafkammern der jungen Mägde gehörte. Im nächsten Moment hatte er die Sache auch schon wieder vergessen, und dann vergingen nochmals einige Tage, an denen ihm weiter nichts auffiel.
Allenfalls merkte Hanno hin und wieder, dass die Mägde neuerdings so schweigsam waren. Mit verheulten Augen saßen sie auf den Küchenbänken, und anstatt wie sonst hinter dem Rücken der Mutter zu tuscheln und zu kichern, warfen sie einander todtraurige Blicke zu.
Aber was ging ihn der Kummer der Mägde an? In seinen Tagträumen zog längst er selbst als singender Poet von Markt zu Markt.
Und dann kam der Tag, an dem die Mutter ihn zur Jauchegrube schickte. Das war ein Loch im Erdboden hinter dem Kuhstall, mit gemauerten Wänden und tief wie ein Brunnenschacht. Die Mutter hatte ihm aufgetragen, eine Mistforke zu holen, die dort angeblich vergessen worden war.
Doch im Nachhinein wurde Hanno klar, dass sie ihn nicht deshalb dorthin geschickt hatte. Da unten in der Grube lag Harmo, schon halb eingesunken im Morast. Seine Augen weit offen, doch sein Blick war starr und leer. Sein Gesicht mit Jauche beschmiert und wie gefroren zu einer Fratze nackter Angst.
Hannes – der heutige Hannes in seinem Mauerloch – schlug die Hände vors Gesicht und begann, hemmungslos zu schluchzen. Wie lange hatte er nicht an diesen schrecklichen Anblick gedacht! Fünf Jahre waren seit damals vergangen – und doch sah er den toten Harmo so klar und deutlich vor sich, als ob er selbst noch immer dort am Rand der Jauchegrube kauern würde.
Alles, was er damals empfunden hatte, quoll aufs Neue in ihm empor – Grauen, Entsetzen, versteinernde Angst. Blitzartig hatte er in jenem Moment erkannt, dass er sich fortan verstellen, seineTräume verbergen, ja verleugnen müsste, damit es ihm nicht genauso wie dem unseligen Harmo erging.
Damals bin ich zum Inquisitor meiner eigenen Träume und zum Zensor meiner Einbildungskraft geworden, sagte sich Hannes tief erschüttert. Damals schon war er von dem ihm vorbestimmten Weg abgeirrt – aus Angst, aus elender Angst!
Wie auf dieses Stichwort hin flog irgendwo draußen im Gang eine Tür auf, und Hannes schreckte aus seinen Erinnerungen hoch. Mit Gepolter und Getöse nahten Schritte.
»Na los, Mönchlein«, stieß eine heisere Männerstimme hervor, »bring mich zu ihm.« Die Stimme kam Hannes schrecklich vertraut vor. »Hast du dir nicht gemerkt, Kerl, was ich dir damals beim Narrenasyl eingeschärft habe?«, fuhr der heisere Mann fort, und es klang wie das Belfern eines Hundes, der die Fährte gefunden hat. »Meinem Schreiber befehle einzig ich!«
Dann ein Stampfen und Stolpern und im nächsten Augenblick taumelte eine Gestalt in schwarzer Kutte vor Hannes’ Verliestür – Bruder Meinolf! Sein Gesicht war totenbleich. Von rechts her trat nun auch der Unterzensor Skythis ins Bild, in seiner Hand die hiebbereite Kampfaxt. »Aufmachen – na, wird’s bald!«, stieß er hervor.
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