OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
rechts – die Maurer dösten vor sich hin. Die Köpfe waren ihnen auf die Brust gesunken. Nur der Mann vorne auf dem Kutschbock schien so munter wie seit Stunden – unentwegt ließ er die Peitsche tanzen oder munterte seine Mähren durch eintönige Zurufe auf.
Amos beschloss, es zu wagen. Er würde nur ganz kurz mit Klara in magische Verbindung treten, um ihr einzuschärfen, dass sie unentwegt auf der Hut sein musste. Wenn Abt Trithemius erstklar geworden wäre, dass sie seine Anweisung nicht vollständig befolgt hatten, würde er Amos höchstwahrscheinlich nicht einfach nur ausschimpfen. Vielmehr würde er seine eigenen Häscher aussenden, damit sie Klara einfingen und gleichfalls zu ihm brachten.
Und das durfte ihm um keinen Preis gelingen – jedenfalls nicht, solange er Amos nicht offenbart hatte, was das Opus Spiritus mit ihnen beiden eigentlich im Schilde führte.
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A
mos schloss die Augen
und spähte in sich hinein. Er erblickte sein magisches Herz und in einiger Entfernung an seinem inneren Himmel ein zweites funkelndes Gestirn – Klara. Er war schon drauf und dran, ihr einen Lichtstrahl zu schicken, um ihrer beider magische Herzen miteinander zu verbinden, doch im letzten Moment entschied er sich anders. Er würde sie überraschen. Er würde ihr nicht einfach eine Gedankenbotschaft schicken, sondern im magischen Flug zu ihr eilen, ohne vorher mit ihr Verbindung aufzunehmen.
Nur ganz kurz ging ihm durch den Kopf, dass er möglicherweise noch einen anderen, sehr viel weniger ehrenwerten Beweggrund hatte – dass er Klara nicht bloß überraschen, sondern heimlich beobachten wollte, wie sie sich gegenüber Leander verhielt. Und dann dachte er, dass er ein vollkommen überflüssiges Wagnis einging, wenn er jetzt als Geist zu Klara flog, während sein Körper auf dem Baumeisterwagen zurückblieb. Doch er wischte beide Bedenken beiseite.
So genau wie möglich stellte er sich den Ort vor, an dem er Klara und die anderen vor Stunden zurückgelassen hatte – das Straßenstück, den Waldrand, gesäumt von einem dürftig dahinplätschernden Bach. Er verspürte ein Sausen, als ob er von Sturmwind umtost und erfasst würde – und im nächsten Augenblickriss es ihn aus seinem Körper, aus dem schaukelnden Wagen heraus und steil in den Abendhimmel empor.
Amos hätte singen und jubeln mögen, so großartig fühlte es sich an, durch die Lüfte zu sausen – wie ein Vogel oder sogar wie ein Engel, jedenfalls so frei und schwerelos leicht wie niemals vorher in seinem Leben. Hoch über Wiesen und Wipfeln sauste er dahin und war rascher am Ziel, als er gebraucht hätte, um Klaras Namen auch nur zu denken. Wie die Blätter im Herbstwind von den Bäumen zu Boden trudeln, so schwebte er wieder auf die Erde herab. Doch hier am Waldrand, wo sie sich vor fünf, sechs Stunden getrennt hatten, war von Klara, von Bruder Egbert und seiner Schar natürlich nichts mehr zu sehen.
Dafür entdeckte er im Straßenstaub etwas anderes, das sogar seinen Geisteratem für einen Augenblick stocken ließ: Abdrücke von zahlreichen Pferdehufen und von gewaltig großen Hundepfoten – sie führten auf der linken Straßenseite aus dem Wald heraus und auf der anderen Seite wieder ins Dickicht hinein.
Die Purpurkrieger! Sie hatten die Fährte von Egbert und seinen Leuten wiedergefunden und erneut die Verfolgung aufgenommen. Und das war noch keineswegs alles.
Amos beugte sich tiefer über die Spuren im Staub. Auch die Eindrücke von den Wagenrädern waren noch deutlich zu sehen – jedenfalls für jemanden, der wie er selbst im Spurenlesen geübt war. Hier im Baumschatten hatte der Wagen gehalten und auf Amos gewartet. Schließlich war er weitergefahren und hatte sich auf der Straße in Richtung Westen entfernt.
Zuerst hatte Amos geglaubt, dass alle ihre Verfolger mitsamt den Bluthunden (und dem gefesselten Johannes) sich wiederum an die Fersen von Egbert, Klara und den anderen geheftet hätten. Aber je länger er die Spuren im Straßenstaub betrachtete, desto klarer wurde ihm, dass er sich in diesem Punkt getäuscht hatte.
Drei Reiter hatten sich von dem Pulk der Häscher getrennt und waren der Wagenspur auf der Straße gefolgt. Zwei Purpurkrieger – angeführt von dem Offizier mit dem unauslöschlichenLächeln? Oder von Frater Meinolf, auf dessen blassen Wangen bereits wieder die Rosen der Mordlust zu blühen begannen?
Eine geraume Weile starrte Amos auf die Spuren im Staub. Er konnte sich einfach nicht entscheiden, was er jetzt als
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