OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
bist du? Warum antwortest du mir nicht?
Bruder Egbert stützte seinen Stock auf den Boden und stemmte sich mühsam hoch. Er schaute sich nach allen Seiten um und machte ein Gesicht, als ob er erstaunt, aber mehr noch der Überrumpelungen überdrüssig wäre. Er kniff die Augen zusammen, und im nächsten Moment spürte Amos, wie sich seine Magendecke zusammenzog.
Ich spüre, dass du hier in der Nähe bist, Amos, sagte Bruder Egbert mit einem strengen Unterton. Was soll das – warum bist du nicht auf dem Wagen, der dich nach Würzburg bringen soll?
Da bin ich ja, entgegnete Amos, mein Körper ist dort, ich wollte nur rasch noch einmal nach Klara sehen . Wo ist sie, Bruder Egbert?
Der alte Mann runzelte die Stirn und sah abwartend zu Amos hinüber. Mittlerweile schien er zumindest ungefähr die Stelle geortet zu haben, an der Amos’ Geist umherschwebte. Du darfst sie jetzt nicht stören , sagte er, wir haben alles ganz genau vorausgeplant.
Wobei stören? , fragte Amos. Ein mehr als mulmiges Gefühl stieg in ihm auf, vermischt mit brodelnd heißer Wut. Und wo ist überhaupt Leander?
Egberts Blick wurde unstet. Er schaute an Amos vorbei, tieferin den Wald. Noch während Amos herumfuhr, ahnte er voraus, was er dort zu sehen bekommen würde.
Klara und Leander.
Doch es war noch schlimmer als in seinen ärgsten Befürchtungen, in seinen düstersten Eifersuchtsalbträumen.
Klara und Leander, die eng beisammen im Eingang einer kleinen Felshöhle hockten, einige Schritte tief im Wald. Klara flüsterte dem blonden Jungen ins Ohr und er hörte ihr mit einem Ausdruck hingerissener Begeisterung zu. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengezogen und wie zum Ausgleich stand ihm der Mund halb offen.
Klara! , schrie Amos, und sie fuhr ganz kurz zusammen und flüsterte dann weiter in Leanders Ohr, ohne auch nur ihren Blick zu Amos zu wenden.
Da wurde er von heißem Schmerz ergriffen, von wütender Trauer und zerreißendem Zorn. Verfluchter Leander , schrie er mit überkippender Gedankenstimme, das wirst du mir büßen! Er kannte sich selbst nicht wieder, seine Stimme, die hoch und schrill klang, und den schrecklichen Zorn, der wie eine Feuersbrunst in ihm umherraste. Und dann plötzlich spürte er Hände, die ihn an Schultern und Armen schüttelten und rüttelten, und bekam einen heftigen Schlag gegen seine Brust – und ehe er begriffen hatte, was da mit ihm passierte, riss es ihn aufs Neue in die Lüfte empor und er wirbelte durch den Abendhimmel und schoss nur einen halben Herzschlag später in seinen Körper zurück.
Er öffnete die Augen und wollte sich aufrappeln, doch eisenharte Hände hielten ihn zurück. »Was ist los mit dir, Junge – wir dachten, du wärst tot!« Das breite Gesicht von Meister Dreyfuß schwebte eine Handbreit über ihm, der eisgraue Schnauzbart gesträubt.
Vor Wut, dachte Amos in der ersten Verwirrung. »Nicht tot«, brachte er heraus, »nur geschlafen.«
Die stählernen Fäuste ließen ihn los, und es gelang ihm, sich zum Sitzen aufzurichten. Der Wagen ratterte noch immergemächlich auf der Straße dahin. Mittlerweile war die Dämmerung weit fortgeschritten, doch der volle Mond schien vom Himmel herab und es war kaum weniger hell als an einem nebligen, wolkenverhangenen Tag.
Bestimmt wollten die Maurer bald ihr Nachtlager aufschlagen – doch sie durften den Wagen auf keinen Fall anhalten, solange er selbst noch bei ihnen war. Fieberhaft überlegte Amos hin und her – wie sollte er es Dreyfuß nur begreiflich machen? Der alte Baumeister schaute ihn jetzt schon so argwöhnisch an, als ob er ihn für irrsinnig hielte oder – viel schlimmer – für jemanden, der mit dem Teufel im Bunde war.
»Bitte, hört mich an, Meister Dreyfuß«, begann er. »Ihr müsst mir glauben, dass ich Euch die reine Wahrheit sage – auch wenn es sich in Euren Ohren höchst sonderbar anhören muss.« Er sah den Baumeister beschwörend an. »Ich werde verfolgt«, sagte er, »in allenfalls einer halben Stunde müssen meine Häscher uns eingeholt haben.«
Meister Dreyfuß zog die Augenbrauen zusammen. »Verfolgt«, wiederholte er, »von wem?«
Amos zögerte mit der Antwort. Durfte er den Maurern wirklich die Wahrheit sagen, zumindest einen kleinen Teil davon? Immerhin schien Bruder Egbert diesem Meister Dreyfuß zu vertrauen. Auf der anderen Seite aber standen die Männer in Diensten des Bischofs von Würzburg und würden es wohl schon deshalb nicht wagen, sich gegen die Soldaten des Papstes zu stellen.
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