OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
er nach wie vor ein ungutes Vorgefühl.
Abt Trithemius hatte ihnen befohlen, auf dem schnellsten Weg nach Würzburg zu kommen und ihm das
Buch der Geister
zu bringen. Und so blieb Amos gar nichts anderes übrig, als zumindest für seine Person diesem Befehl Folge zu leisten. Trithemius war viel zu mächtig, als dass sie einfach so seine Anweisungen übergehen könnten. Außerdem war Faust offenbar ein enger Vertrauter des Abtes, und mit dem unheimlichen Zauberer wollte Amos am liebsten überhaupt nie mehr zusammentreffen – schon gar nicht, wenn Faust zornig auf ihn war oder auf Trithemius’ Geheiß hinter ihm herjagte. Allerdings würde ihn der Abt wohl trotzdem mit Vorwürfen überschütten, weil er ohne Klara gekommen war. Aber was konnte schließlich er dafür, wenn sie nun einmalbeschlossen hatte, lieber erst nach Nürnberg zu Mutter Sophia zu gehen?
Außerdem würde der Mann mit der kratzigen Papierstimme genauso wie Amos selbst letzten Endes einsehen müssen, dass Klara gar nicht anders handeln konnte. Amos musste es ihm nur richtig erklären: Klara hatte überhaupt keine andere Wahl, als zu Mutter Sophia zu eilen. Vielleicht lag die Äbtissin ja im Sterben, nachdem Cellaris Schergen sie wochenlang gemartert hatten, und wollte Klara eine letzte Botschaft anvertrauen. Oder vielleicht hatte sie, im Gegenteil, einen Fluchtweg ausfindig gemacht und brauchte Klaras Hilfe, um aus dem Inquisitionskerker zu entkommen. So oder so würde es sich Klara niemals verzeihen, wenn sie zu spät nach Nürnberg käme und die gütige Äbtissin nicht mehr am Leben oder die Fluchtmöglichkeit wieder dahin wäre.
So ungefähr, dachte Amos, würde er Trithemius alles auseinandersetzen und früher oder später würde der Abt einsehen, dass sie beide nur so und nicht anders hatten handeln können.
Stunde um Stunde ratterten sie Würzburg entgegen und die meiste Zeit sprach niemand im Wagen auch nur ein Wort. Ab und an stimmten die Maurer ein Lied an, aber schon nach ein paar wenigen Versen brachen sie meist wieder ab. Der fremde Reisegefährte, über den sie so gar nichts wussten und dem sie auch nicht auf den Zahn fühlen durften, machte sie befangen und wortkarg. Amos war es ganz recht so – er war mit seinen Gedanken ohnehin bei Klara und das Herz war ihm noch immer schwer.
Bis ihm schließlich eine Erleuchtung kam, die sogar seinen Trennungsschmerz linderte: Eigentlich war es für sie beide am sichersten, wenn sie nicht zusammen zu Trithemius fuhren. Ja, im Grunde hätten sie es gar nicht besser treffen können und mussten Mutter Sophia sogar noch dankbar dafür sein, dass sie letzte Nacht so dringlich nach Klara gerufen hatte.
Konnte es sein, dass sich die Äbtissin gerade deshalb ausgerechnet jetzt an Klara gewandt hatte: um zu verhindern, dass sie zusammen nach Würzburg gingen? Verwirrt grübelte Amos überdieser Möglichkeit. Aber das würde ja heißen, dachte er, dass Mutter Sophia sie die ganze Zeit über auf magischem Weg beobachtete, um notfalls sofort eingreifen zu können, wenn Klara oder
Das Buch
in Gefahr gerieten. Nein, das hörte sich nicht sehr überzeugend an – schließlich war die Äbtissin nach allem, was Klara von ihr erfahren hatte, so geschwächt, dass sie lediglich ab und zu kurze Gedankenbotschaften senden konnte.
Aber auch wenn es möglicherweise bloß eine glückliche Fügung war, dass sie Klara gerade letzte Nacht nach Nürnberg gerufen hatte: Es war zweifellos das Beste, was ihnen beiden hatte passieren können. Anderenfalls würden sie jetzt arglos zusammen nach Würzburg fahren – und dann bekäme Trithemius nicht nur
Das Buch
in seine Gewalt, sondern sie beide obendrein.
Solange sie nicht wussten, was Trithemius und Faust – und wer sonst noch zu diesem undurchsichtigen Teil der Bruderschaft gehören mochte – mit ihnen letzten Endes vorhatten, so lange mussten sie sorgsam darauf achten, dass immer zumindest einer von ihnen beiden in Freiheit blieb. Schließlich hatte das Opus Spiritus Klaras und seine eigenen Eltern töten lassen, und bis heute hatten sie nicht herausgefunden, warum. Was gerade an ihnen beiden so Besonderes sein sollte. Weshalb ausgerechnet sie dazu auserwählt worden waren,
Das Buch der Geister
in Sicherheit zu bringen und die magischen Kräfte zu erproben, die es in seinen Lesern erweckte.
Amos wurde immer aufgeregter, während ihm diese Gedanken durch den Kopf jagten. Er musste unbedingt mit Klara sprechen, möglichst sofort. Verstohlen sah er nach links und
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