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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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Gemeinschaftskundelehrerin. »Du hast Ehrgeiz«, hatte sie zu Darek anerkennend gesagt, nachdem sie seine Arbeit gelesen hatte. »Damit kannst du im Leben weit kommen.«
    Unter der hohen Lärche am Ende des dritten Tales gönnte er sich eine Pause. Er zog seine Jacke aus und hockte sich mit dem Rücken gegen den Stamm. Seine Stirn war heiß, er hatte Seitenstechen und war schweißgebadet. Er war zu schnell gegangen, fast gerannt. Vor ihm lag nur noch der letzte Hügel. Darek erkannte zwischen den Bäumen den Ausschnitt, wo der bequeme Waldweg zum Haus von Herrn Havlik führte. Entweder würde er dort entlanggehen oder ihn kreuzen und auf dem steilen Rehpfad wie bisher bleiben. Wenn er dann auf der anderen Seite aus dem Wald herauskam, könnte er schon die Bienenstöcke sehen. Seit der Geschichte mit Kirke waren sie längst repariert. Vater war es damals gelungen, den entflogenen Bienenschwarm im Kirschgarten einzufangen. Zum Glück war die Königin auf dem Rahmen geblieben, und sobald das verwirrte Volk sie gerochen hatte, krabbelte es zurück ins Bienenhaus. Jetzt waren die Waben bestimmt mit dunklem Waldhonig gefüllt, den Vater bald ernten würde. »Ich warte, bis du zurückkommst«, hatte er zu Darek vor der Abfahrt ins Trainingslager gesagt. »Du hilfst mir.«
    Hilfe war dabei gar nicht so wichtig. Darek wusste, dass Vater die letzte Honigernte des Jahres gerne feierte. Im Vorjahr war noch Mutter dabei gewesen, kurz bevor der Krankenwagen sie wegbrachte. Sie hatten Stühle und Tische auf die Wiese getragen, Mutter hatte leckere Honigkuchen gebacken, Ema hatte ein neues Kleid angehabt. Sie hatten die Janoschs, Herrn Havlik und ein paar von Vaters Arbeitskollegen eingeladen. Dieses Jahr würde es anders sein. Nicht der Honig, der schmeckte jedes Jahr gleich. Aber Vater und seine Freunde fuhren nicht mehr gemeinsam zur Arbeit, und auf Mutters Platz würde Marta sitzen …
    Darek fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Der Schweiß war eingetrocknet, die heiße Stirn abgekühlt. Er sprang auf und lief eilig weiter. Die innere Unruhe ließ ihn nicht los, er wollte möglichst schnell oben sein. Erst dort, beim Anblick der Pferde, konnte er wirklich rasten. Während er überlegte, wie spät es wohl war, hallte ein schrilles Pfeifen vom Tal hoch. Der Zug war durch den Nebeldunst nicht zu sehen, doch Darek wusste, dass er in den Bahnhof einfuhr. Also war es Viertel nach sieben. Gleich, wenn der Zug den Bahnhof verlassen hatte und zum zweiten Mal pfiff, wollte Darek schon oben sein.
    An der Weggabelung begegnete er einer Gruppe kleiner Pfadfinder. Sie hatten orangefarbene Mützen mit grinsenden lila Bibern auf und trugen Rucksäcke, die größer waren als sie selbst. In ihren Händen hielten sie Butterbrote.
    Â»Guten Tag«, grüßte ein Mädchen in Emas Alter höflich. »Wissen Sie vielleicht, ob wir hier zum Hohen Stock kommen? Unser Gruppenleiter hat sich verirrt.«
    Das »Sie« belustigte Darek. Er tat, als würde er das verlegene Gesicht ihres Anführers nicht sehen, und wies dem Mädchen den Weg. Schon vom nächsten Bergsattel würden sie den Hohen Stock sehen können.
    Â»Danke! Wir winken Ihnen dann von oben zu«, sagte sie. Ihr Akzent und die singsangmäßig gezogenen Endungen verrieten Darek, dass sie aus Prag kam. Eine Weile blickte er der Gruppe nach, um sich zu vergewissern, dass sie in die richtige Richtung gingen – dann stieg er weiter bergauf.
    Schwirrend kamen ihm als Erstes die Bienen entgegen. Eine landete sanft auf Dareks Hals. Es kitzelte, während sie dort herumspazierte und in seine Haare kroch, aber er hatte Angst, sie wegzuscheuchen, er wollte nicht gestochen werden. Sie kam an seinem linken Ohr vorbei, krabbelte zur Schläfe und schließlich setzte sie sich in die Mitte der Stirn. Es tat ihm leid, dass er keinen Spiegel dabeihatte. Bestimmt sah er beeindruckend aus. Durch die Biene bekam sein auffälliger Stirnknochen endlich einen Sinn. Er überlegte, ob er nicht ein Gedicht für Hanka darüber schreiben sollte. Eine Biene schmückt meine Stirn, ich schenk sie dir mit Herz und Hirn, fing er an. Hab keine Angst vor dieser Gabe … Die Biene flog weg und ein weiterer Reim fiel ihm nicht ein. Eine Weile dachte er angestrengt nach. Vielleicht Wabe – aber was mit Wabe? Oder Rabe … Küchenschabe? Nein, jetzt hatte er es: In

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