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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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Höhe. Dann beugte er den Kopf und ging aus der Küche. Sämtliche Türrahmen, die Darek kannte, waren für den Vater zu niedrig, aufrecht konnte er nur durch das Eingangstor der Maschinenhalle gehen, wo er arbeitete. Wo es seit Wochen keine Arbeit mehr für ihn gab.
    Â»Nehmt einen Bleistift und ein Stück Papier mit!« Er drehte sich im Flur noch einmal um. »Oder besser ein Notizbuch. Wir werden es brauchen.«
    Â»Sollen wir zeichnen?«, fragte Ema.
    Vater antwortete nicht. Darek hörte ihn die Treppe hinaufsteigen und den Kleiderschrank im Obergeschoss öffnen. Er würde das weiße Hemd ausziehen, es auf einen Bügel hängen, und bevor er den Schrank wieder schloss, würde er mit der Hand sorgfältig über die zerknitterten Ärmel streichen, so wie es Mutter immer gemacht hatte.
    Â»Sollen wir zeichnen?«, wiederholte Ema.
    Â»Na klar«, bejahte Darek, nur damit sie aufhörte zu fragen.
    Â»Toll!«, freute sie sich. »Was denn? Was zeichnest du?«
    Â»Schmetterlinge«, antwortete Darek ungeduldig. »Beeil dich!«
    Er wischte seinen Teller mit dem letzten Stück Knödel sauber, stand auf und ließ Wasser in die Spüle laufen.
    Â»Heute bist du dran, das Geschirr abzutrocknen.«
    Â»Ich will aber abwaschen«, protestierte Ema. Der Abwasch machte ihr Spaß. Sie spielte dabei, schlug das Wasser mit dem Spülmittel zu Schaum und verteilte ihn in Gläser und Töpfe, die sie sofort wieder leerte, um sie aufs Neue füllen zu können. In ihr Spiel vertieft, vermochte sie eine glatte Stunde an der Spüle zu verbringen und war zum Schluss ganz nass. Durch die Küche schwebten dann Seifenblasen, doch das Geschirr blieb schmutzig.
    Â»Abtrocknen ist doch viel besser«, versuchte Darek sie zu überreden.
    Â»Wieso?«
    Â»Weil …« Er dachte darüber nach, wie er ihr diese langweilige Tätigkeit schmackhaft machen könnte. Auch ihm war eigentlich nicht klar, warum man das Geschirr abtrocknen musste. Wenn sie schon keine Spülmaschine besaßen, im Unterschied zu den Bulis und ein paar anderen Familien im Dorf, dann konnten sie doch die von Hand gespülten Teller und Gläser abtropfen lassen. Aber die Mutter hatte das Geschirr blitzeblank gemocht. »… weil du dafür dieses Geschirrtuch mit Erdbeeren kriegst!«
    Mit dramatischer Geste holte er aus der Schublade ein mit Erdbeeren bedrucktes Geschirrtuch. Ema staunte nicht schlecht, sie rutschte vom Stuhl herunter und betrachtete die Erdbeeren mit Begeisterung, ja, sie roch forschend an ihnen. Dann fing sie an, die Konturen mit dem Zeigefinger nachzuziehen. Sie bewegte dabei ihre Lippen und murmelte etwas. Darek seufzte – das konnte lange dauern. Murmelgedichte nannte Mutter den leisen, eintönigen Wörterstrom, in den Ema hin und wieder ganz unerwartet wie in einen Schlaf fiel. Manchmal war er sehr leise, dieser Wörterstrom, ein anderes Mal lauter, aber nie konnte man etwas verstehen. Als Darek kleiner war, versuchte er Emas Murmelmonologe zu unterbrechen. Er bombardierte sie mit Fragen, kniff und kitzelte sie, nahm ihr absichtlich die Sachen weg, die sie sich anschaute. Es ärgerte ihn furchtbar, sie nicht zu verstehen. Er war überzeugt, dass sie es mit Absicht tat, dass sie mit ihm ein böswilliges Spiel trieb. Aber es war kein Spiel, das begriff er mit der Zeit. Ema konnte nicht böswillig sein, es lag außerhalb ihrer Fähigkeiten. Ihm wurde erklärt, dass die Art, wie sie sich benahm, Ausdruck einer geistigen Behinderung war. Mit Ungeduld, Poltern oder sogar Strafen konnte man bei ihr gar nichts erreichen. Am besten wartete man ab, bis sie von selbst aus ihren seltsamen Trancezuständen wieder aufwachte.
    Darek tauchte seine Hände ins Wasser und spülte den ersten Teller ab. Eins musste er zugeben: Marta hinterließ nie Schmutz oder Unordnung. Sie verhielt sich in der Küche so wie auf dem Postamt. Jedes Ding, das sie gebraucht hatte, stellte sie wieder an seinen Platz. Es war ein Wunder, dass sie es nicht abgestempelt oder mit einer Inventarnummer versehen hatte. Sie war sorgsam und geradezu besessen von Sauberkeit. Sie hatte sogar das Fenster geputzt. Die Nachmittagssonne strahlte kräftig herein und lockte nach draußen.
    Ein schriller Pfiff tönte aus der Ferne, auf dem Fußballplatz begann das regelmäßige Training. FC Piosek, die Nachwuchsliga. In letzter Zeit nahm Darek nur selten am

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