Ordnung ist nur das halbe Leben
mir einen Schrecken einjagen. Und jetzt tut es ihm schrecklich leid, und er meinte, er hätte eine Scheißangst gehabt und sich solche Sorgen gemacht um mich und Fritz, und alles ist wieder gut.« Sie wischte sich eine Träne von der Wange.
»Oh, ich freue mich so für dich«, sagte ich und hätte auch fast geweint. Sie nahm mir Fritz wieder ab, und dann umarmten wir uns zu dritt.
»Gaga«, sagte Fritz und kniff mir in die Nase.
»Papa kommt uns abholen«, sagte Ellen zu ihm. »Sag mal Papa!«
»Drrrrrrrrr.«
»Nein. Papa.«
»Guuuuii.«
Ellen lachte. »Was soll’s! Du hast eben Papa gesagt. Wir haben es genau gehört.«
Wir aßen Knäckebrot und Corned Beef und Schokomandeln und tranken Wasser. In dem Bistro der Austernfarm durften wir auf Toilette gehen. Später baute ich aus Tisch und Rückbank das Bett und holte Schlafsäcke und Kissen aus dem Stauraum über der Fahrerkabine und machte es uns gemütlich. Dann legten wir uns hin, mit Fritz in der Mitte, und redeten darüber, wie wir Saskia in einem Yogakurs kennengelernt hatten und wie sehr sie sich verändert hatte. Wir sprachen über Arne und sein in die Hose gegangenes Täuschungsmanöver, über Dagmar und Ellens Vater. Und dann erzählte ich Ellen, dass Lennart mich geküsst hatte.
»Was?«, rief sie. »Und das sagst du mir erst jetzt?«
»Ja. Es war mir peinlich. Wegen Jens. Meinem Verlobten .«
»Exverlobten, meinst du wohl.«
»Wie kann das sein«, fragte ich aufgebracht, »dass man sich derart in Menschen täuschen kann? Wieso können Leute auf einmal ganz anders sein, als man immer gedacht hat?«
»Sie können sich halt gut verstellen«, sagte Ellen und gähnte.
»Nur bei dir bin ich sicher, wer du bist.«
»Das kannst du auch.«
»Es ist toll, eine Freundin wie dich zu haben.«
»Finde ich auch«, murmelte sie.
»Weißt du noch, unser Urlaub auf Mallorca, damals nach der Schule?«
Es kam keine Antwort mehr, und eine Minute später war ich auch eingeschlafen.
Gegen sechs Uhr in der Früh klopfte jemand an unseren Bus.
»Ellen? Ich bin’s!« Es war Arne. Er hatte sich sofort nach dem Telefonat ins Auto gesetzt und war losgefahren. Um fünf Uhr morgens hatte er den ersten Autoreisezug genommen.
Ich öffnete die Tür.
»Hi, Moni«, sagte er, suchte aber sofort nach Ellen. Arnes Augen wurden feucht, als er sie sah. Sie saß noch im Bett, die Haare verwuschelt, Fritz auf dem Arm.
»Ellen. Fritz«, sagte er und kämpfte mit den Tränen. Sofort wurde mir flau vor lauter Rührung.
»Komm ruhig rein«, sagte ich mit belegter Stimme. Ich schnappte mir eine Decke, legte sie mir um die Schultern, schlüpfte in meine Schuhe und überließ der kleinen Familie den Bus. Ich lief in der Morgendämmerung auf und ab. Es war noch ziemlich kühl. Die Sonne war zwar schon aufgegangen, hatte aber noch keine Kraft. Sie hing hinter einer Wand aus Dunst über dem Meer, als ob sie noch überlegte, ob sie nach oben steigen oder wieder ins Meer sinken sollte.
Nach einer Viertelstunde öffnete sich die Schiebetür, und Ellen und Arne kamen heraus. Sie hatten beide geweint und hielten sich lächelnd an den Händen. Nur Fritz war vergnügt wie eh und je.
»Sag mal Papa«, versuchte Ellen es noch einmal, aber Fritz strahlte sie nur stumm an. »Gestern hat er es gesagt. Nicht wahr, Moni?«
»Ja, ich habe es genau gehört«, bestätigte ich. »Sein erstes Wort war Papa!«
Wir luden den Maxi-Cosi in Arnes Auto und fuhren zum Hafen, um zu frühstücken. Es gab Fischbrötchen und Kaffee, und selten hatte etwas so lecker geschmeckt. Beim Essen legte Arne den Arm um Ellen. Sie küssten sich alle paar Minuten. Es war schön zu sehen, dass Saskia unrecht gehabt hatte. Es gab Paare, die füreinander bestimmt waren.
»Und du bist sicher, dass wir dich hier alleine lassen können?«, fragte Ellen zum zwanzigsten Mal.
»Na klar«, sagte ich so überzeugend wie möglich. »Macht euch keine Sorgen. Ich werde heute auf dem Campingplatz schlafen und morgen ganz früh zurückfahren und den Sessel abholen. Und mit Jens kläre ich alles, wenn ich zurück bin.«
»Das Geld hast du noch?«, fragte Ellen.
»Ist sicher verstaut«, sagte ich. Arne hatte mir zweihundert Euro geliehen.
Ellen umarmte mich lange. »Viel Glück. Und pass auf dich auf«, flüsterte sie.
»Gute Fahrt!«, sagte ich. »Ich melde mich, wenn ich wieder in Köln bin.« Ich gab Fritz einen Kuss auf die Wange und winkte ihnen hinterher.
Es war ein komisches Gefühl, plötzlich allein zu sein, so weit weg
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