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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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dann Kinder zu kriegen. Nicht so wie Anja und Daniel.«
    »Am besten steigst du schon mal aus«, antwortete er abgelenkt, denn die einzige freie Parklücke fanden wir zwischen einem VW Touareg und einem Van, deren gewaltige Ausmaße unseren Audi A4 vor eine Herausforderung stellten.
    Ich stieg also aus, damit er den Wagen dort hineinzirkeln konnte, und nahm mir vor, das Thema Nachwuchs zu einem besseren Zeitpunkt noch einmal anzusprechen. Ich hakte mich bei ihm unter, und zusammen schritten wir zum Alten Kölner Rathaus.
    Die Atmosphäre vor einer solch großen Feierlichkeit war immer etwas Besonderes. Man begrüßte sich freundlich und beäugte sich distanziert, in dem Versuch, familiäre Spannungen zu diesem Zeitpunkt noch zu umgehen. Von meinen Eltern war weit und breit noch nichts zu sehen, wie nicht anders zu erwarten. Als Erstes begrüßten wir Tante Marianne und Onkel Bernd, die, umgeben von der Aura der Wichtigkeit als Brauteltern, in der Mitte des Vorplatzes standen. Marianne trug einen cremefarbenen Mantel mit Pelzkragen, und ihr aschblondes Haar, das sie seit jeher als kinnlangen Bob trug, hatte trotz ihrer siebenundfünfzig Jahre nicht ein einziges graues Haar.
    »Hallo, Moni«, rief sie erfreut. »Hallo, Jens. Ihr seht toll aus! Als ob ihr auch bald heiraten würdet!« Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu. »Und eure Feier wird auf jeden Fall besser als dieser Klamauk heute. Ich sag nur: Café Wirtschaftswunder . Ein Café ist doch kein angemessener Ort für eine Hochzeitsfeier!«
    »Ach komm, Marie«, sagte Onkel Bernd, der Gutmütige. »Anja will es nun mal so, und dann wird es auch schön.«
    »Das sagst du so. Du hast ja keine Ahnung«, brummte sie.
    »Also dann, bis später«, sagte ich, denn ich wollte nicht in eine ihrer Auseinandersetzungen über Anja reingezogen werden. »Ihr müsst sicher erst einmal die anderen Gäste begrüßen.«
    Wir gingen zu Oma Hildegard, die, auf ihren Rollator gestützt, etwas abseits stand. Ihr schwarzer Pelzmantel glänzte in der Sonne und hatte nichts von seinem Volumen eingebüßt, ganz im Gegensatz zu meiner Oma, die jedes Jahr ein bisschen mehr schrumpfte. Ihr Kopf wirkte auf dem aufgeplusterten Mantel so klein und faltig wie eine Rosine. Niemals geändert hatte sich ihre sauertöpfische Miene, die sie seit ihrer Jugend pflegte, und die man nur mit einem Johannisbeerlikör namens Schwarzer Kater und Witzen über Ärzte aufheitern konnte. Und mit meinem Verlobten.
    »Hallo, Oma Hildegard«, sagte ich und gab ihr ein Küsschen auf die Wange.
    »Guten Tag, Jens«, sagte sie, und ihre kleinen blauen Augen flitzten an ihm rauf und runter.
    »Guten Tag, gnädige Frau.« Er deutete einen Handkuss an. Meine Oma kicherte ein bisschen. Er hatte seinen Zivildienst in einem Altenheim abgeleistet und kannte alle Tricks, um alte Damen bei Laune zu halten.
    »Wie geht’s dir denn, Oma Hildegard?«, fragte ich.
    »Wie sollte es mir schon gehen?«, gab sie, jetzt wieder zänkisch, zurück, »ich bin sechsundachtzig Jahre alt, meine Füße sind geschwollen wie eine Anakonda, die ein Warzenschwein gefressen hat, und wenn ich nur dran denke, was meine Tochter Waltraud heute wieder anstellen könnte, würde ich am liebsten tot umfallen.«
    »Es geht dir also sehr gut«, fasste ich zusammen und zwinkerte Jens zu.
    »Und du siehst auch wie immer entzückend aus. Keinen Tag älter als sechzig«, sagte Jens, und damit schaffte er es erneut, dem faltigen Gesicht meiner Oma ein Lächeln abzuringen.
    »Halt dir den Jungen warm«, sagte sie zu mir. »So einen findest du nicht mehr.« Und mit einem Blick auf meinen Bauch sagte sie: »Und wie sieht es bei euch aus? Erlebe ich mein nächstes Urenkelchen denn noch?«
    »Natürlich, Oma Hildegard«, sagte ich.
    »Erstens, liebe Hildegard, wirst du bestimmt hundert Jahre alt«, sagte Jens. »Und zweitens weißt du doch, dass wir im Sommer heiraten.«
    »Im Sommer?«, krächzte Oma Hildegard erstaunt, als wäre das eine Neuigkeit.
    »Hi, Leute«, rief mein Bruder Hannes, der sich jetzt zu uns gesellte.
    Er umarmte mich flüchtig, aber immer noch lange genug, dass ich den Mief, den er in seinen braunen Haaren herumschleppte, riechen konnte. Er hatte sie rundherum auf vier Millimeter abrasiert – bis auf die Insel von kinnlangem Haupthaar, das sich nicht entscheiden konnte, ob es nun zu Rastazöpfen werden wollte oder nicht. Es war zwar verfilzt, aber für Dreadlocks nicht verfilzt genug. Doch das war typisch für meinen Bruder, den König der

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