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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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Schreibtisch und öffnete sie so, dass Banjo rausgucken konnte. Er legte seine süße kleine Schnauze auf den Rand der Tasche und blinzelte mich von unten aufmunternd an. Ich streichelte ihn. Trotz allem war es ein echt gutes Gefühl, ihn bei mir zu haben.
    »Wir gehören einfach zusammen«, sagte ich leise zu ihm, und er lächelte mich an. Ich musste ebenfalls grinsen.
    »Unterhältst du dich mit deinen Füßen, oder hast du dir einen imaginären Freund zugelegt?«, fragte Sören plötzlich, ohne den Blick von den Monitoren abzuwenden.
    »Das ist eine Konzentrationsübung«, sagte ich und widmete mich dem Tagesgeschäft.
    Ich überflog den Reuters Newsticker auf der Suche nach Rohstoffnachrichten, öffnete am Rechner das Bloomberg Börsen- TV und checkte alle abonnierten Newsletter, um mich auf den neuesten Stand zu bringen. Die Stimmung an den Finanzmärkten war weiterhin sehr angespannt. Griechenlands Zahlungsfähigkeit stand immer noch auf dem Spiel. Um halb zwölf sollte ein Statement der Ratingagenturen zur weiteren Kreditwürdigkeit von Athen über den Ticker laufen.
    Ich rief eine alte Freundin von mir an, mit der ich einige Fortbildungen zusammen gemacht hatte und die jetzt bei einer der Agenturen beschäftigt war, und ich hatte Glück. Sie flüsterte mir, dass es mit Griechenland noch weiter den Bach runtergehen würde. Und das wenige Minuten bevor es alle wüssten! Der Goldpreis würde durch die Decke gehen! Schnell platzierte ich eine fette Long-Order auf das gelbe Edelmetall, welche alle meine Probleme lösen würde.
    In dem Moment spürte ich Banjos nasse Schnauze an meinem linken Arm. Ich streichelte ihn, von dem Geschehen auf dem Monitor abgelenkt. Mit schwitzenden Händen verfolgte ich die Tickermeldung. Und da! Ja, da war es: Griechenlands Kreditwürdigkeit war noch weiter gesunken. Der Goldpreis setzte sich in derselben Sekunde wie gewünscht in Bewegung, und zwar nach oben! Yeah!
    Voller Aufregung wartete ich auf die Erkennungsmelodie, die ich für Gewinne eingestellt hatte: Alicia Keys’ Stimme, die den Refrain von Empire State of Mind schmetterte. Doch die hörte ich nicht. Stattdessen ging die Sirene an, die mir anzeigte, dass etwas nicht gut lief. Überhaupt nicht gut.
    Was war denn das? Ich hatte doch auf steigende Kurse gesetzt – warum schlug meine Tradingsoftware Alarm? Und dann bemerkte ich voller Entsetzen, dass mein Mauszeiger einen Millimeter verrutscht sein musste und ich eine Short-Position eröffnet hatte, während der Goldpreis steil nach oben ging.
    »Oh nein, Mist!«, rief ich panisch.
    »Was ist los?«, fragte Sören. »Hat die Konzentrationsübung nichts genützt?«
    »Nein«, murmelte ich.
    »Geld verzockt?«
    »Das kannst du laut sagen.« Anstatt auf steigende Kurse zu setzen, hatte ich versehentlich auf fallende Kurse gesetzt!
    Innerhalb von Sekunden war ich sechsstellig im Minus. Hektisch versuchte ich, Schadensbegrenzung zu betreiben, und hedgte fünfzig Prozent der Position, eröffnete also eine halb so große Position in die Gegenrichtung, um das Minus zumindest nicht ganz so stark ansteigen zu lassen. Aber das war, wie ein Pflaster auf eine stark blutende Wunde zu kleben. Dieser Fehler würde mich die nächsten Tage und Wochen verfolgen. Jeden Morgen würde er mich wieder begrüßen, und es war völlig unklar, ob ich ihn wieder würde ausbügeln können. Ich konnte nichts mehr tun außer warten. Ich war der Börse ausgeliefert.
    Oh Gott, ich hasse meinen Job, dachte ich plötzlich. Das Ganze war viel zu nervenaufreibend für mich. Warum konnte ich nicht Brötchen verkaufen? Oder warum war ich nicht an meinem Bankschalter geblieben, um bis an mein Lebensende Geldeinzahlungen und Geldauszahlungen und Überweisungen vorzunehmen, ohne auch nur für einen Moment verantwortlich zu sein für so eine Menge Geld, die noch nicht einmal mir gehörte! Aaaaarrgg! Ich hätte schreien können! Stattdessen legte ich resigniert den Kopf auf die Schreibtischplatte, streckte meine Hand unter den Tisch, streichelte Banjos Fell, und er gab mir einen schlabbrigen Kuss auf die Hand.
    Ich beobachtete noch eine Weile das Desaster auf meinem Bildschirm, dann ließ es sich nicht mehr aufschieben: Ich musste dringend zur Toilette. Ich steckte Banjo einen Hundekuchen zu, er legte sich wieder in seine Tasche, und ich ging auf die Toilette.
    Als ich wieder an meinen Schreibtisch zurückkehrte, sagte Sören: »Du sollst mal zum Chef kommen.«
    »Was will er denn von mir?«, fragte ich nervös.

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