Ordnung ist nur das halbe Leben
er fand Zeit, mich wenigstens kurz anzusehen. Er raffte es natürlich nicht. »Was soll ich denn gucken?«
Ich zeigte auf das Gestell auf meiner Nase. »Ich trage jetzt eine Brille.«
»Gratuliere«, sagte Sören.
»Ich hatte doch immer so Kopfschmerzen. Das kam tatsächlich von den Augen. Weil ich immer so auf den Monitor starre und jetzt weitsichtig bin.«
»Aha.«
»Und ich muss Tropfen nehmen, gegen trockene Augen. Und …« Ich machte eine Pause, um ihm klarzumachen, dass ich eine wichtige Information für ihn hatte. »Das wird dich auch interessieren: Mein Augenarzt hat mir geraten, ab und zu Monitorpausen einzulegen und in die Ferne zu gucken.«
Sören deutete auf seinen Monitor und sagte: »Ich gucke in die Zukunft, das reicht.« Er widmete sich wieder seiner Arbeit.
Der würde schon noch sehen, was er davon hatte, wenn er nicht auf meinen Augenarzt hörte. Ich setzte mich an meinen Computer. Es fühlte sich merkwürdig an. Irgendwie war ich aus dem Rhythmus. Wenn man zu viel anderen Kram machen musste wie zum Beispiel Babysitting, dann konnte man sich einfach nicht mehr auf die Börse konzentrieren.
Am Nachmittag fand die wöchentliche Konferenz im Büro statt, in der Höveler immer einen Überblick über die diversen Aktivitäten für unsere Mandanten gab. Als ich reinkam, unterhielt sich Höveler mit Ilja über die ausufernden Demonstrationen am Flughafen, wo der Bürgerverein den Ausbau mit allen Mitteln zu verhindern suchte und schon jetzt für große Verzögerungen gesorgt hatte. Außerdem hatten sie nach der Enttarnung von Gunther Bogert auch vor seinem Hotel demonstriert, was schon zu Umsatzeinbußen geführt hatte.
»Dämliche Naturschützer«, motzte Ilja. »Was für ein Elend!«
»Ja, wirklich«, bestätigte Höveler, dann ging es los mit unserem normalen Tagesgeschäft. Natürlich drehte es sich in der Hauptsache um Uschi Reinhardt.
»Uschi Reinhardt ist wirklich ein Glücksfall für uns. Und so eine unkomplizierte Mandantin hatten wir ja noch nie«, sagte Höveler. »Und dank Ilja wird sie – und wir – auch einiges davon haben.« Er rieb Zeigefinger und Daumen aneinander zum Zeichen dafür, wie viel wir alle daran verdienen würden.
Ilja plusterte sich auf und verkündete: »Wir konnten Uschi Reinhardt von einer lohnenden Investition überzeugen. Sie wird eine Neubausiedlung finanzieren. Gute Lage, sehr begehrt. Baubeginn für die sechzig Einfamilienhäuser ist der Herbst kommenden Jahres.«
Das Klingeln des Telefons im Konferenzraum unterbrach seine Rede. Frau Kisch, Hövelers Sekretärin, ging ran und sagte: »Frau Steckelbach, Uschi Reinhardt für Sie.«
»Sagen Sie ihr, ich rufe später zu…«
»Gehen Sie ran, Moni! Wir kommen hier auch ohne Sie klar«, befahl Höveler. Ergeben stand ich auf und ging in mein Büro, um das Gespräch entgegenzunehmen.
»Ich habe ein großes Problem«, sagte Uschi Reinhardt ohne Umschweife. »Meine Tochter wird morgen zwölf, und ich habe immer noch kein Geschenk.«
Und obwohl ich eigentlich sagen wollte: Meine Güte, es ist Ihre Tochter. Gehen Sie mit ihr aus! Verbringen Sie Zeit mit ihr!, platzte Folgendes aus mir heraus: »Wie wäre es mit einem Kochkurs?« Ich tippte nebenbei in die Suchmaschine die Wörter Kochkurs und Köln ein.
»Ein Kochkurs?«, fragte Reinhardt skeptisch.
»Warum nicht? Sie interessiert sich sehr fürs Kochen und lernt dort vielleicht den genussvollen Umgang mit Lebensmitteln. Da!«, rief ich, als ich im Internet fündig geworden war. »Am Wochenende gibt es einen Kochkurs hier in Köln. Bei dem Sternekoch Jochen Frank. Da könnten Sie zusammen hingehen. Und abends sind dann die Partner oder die Familie zum Essen eingeladen.«
»Mmhh«, sagte Uschi Reinhardt. »Die Idee ist nicht schlecht. Gut, machen Sie das.«
Ich war ja so ein Idiot! Gerade hatte ich mir mein Wochenende kaputtgemacht, das ich eigentlich mit Jens verbringen wollte.
Die Stimmung war seit dem Streit wegen Banjo immer noch etwas lädiert. Dabei hatte ich seitdem die Wohnung noch mindestens dreimal extra gründlich aufgeräumt und gereinigt. Aber wir hatten auch einfach zu wenig Zeit füreinander. Ich musste oft lange arbeiten und dann abends noch mit Tante Marianne wegen der Hochzeitsvorbereitungen telefonieren. Jens war dauernd bei seinen Eltern, wobei ich mich langsam fragte, welche Art Konflikte da eigentlich besprochen wurden. Vielleicht musste die Psychologin die Eltern darauf vorbereiten, wie sie auf der Hochzeit meinen Eltern begegnen
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