Ordnung ist nur das halbe Leben
bestechen, damit wir aufhören, hier am Ackerweg zu protestieren.«
»Nein«, sagte ich.
»Doch. Und weißt du, was das Schlimmste ist? Dieser Kerl. Dieser Ilja Jansen, ja-ha!, ich kenne seinen Namen!« Er machte ein Pause und fügte vernichtend hinzu: »Dieser Kerl arbeitet in derselben Firma wie du.«
»Oh.«
»Ja, genau: Oh! Warum hast du uns nicht gesagt, dass deine Firma in der ganzen Scheiße mit drinhängt?« Seine Stimme erreichte langsam die Phonzahl eines Düsenjets.
»Äh. Das wusste ich nicht. Das ist eine ganz andere Abteilung. Ich bin ja nur für die Wertpapiere zuständig.«
»Aha.« Er beruhigte sich ein bisschen. »Nun gut. Auf jeden Fall musst du uns jetzt helfen. Wir müssen uns wehren.« Er machte eine kurze Pause, dann donnerte er wieder los: »Ich hab’s! Wir protestieren vor deiner Firma! Wir machen alle Welt aufmerksam auf eure Machenschaften.«
»Papa«, rief ich entsetzt. »Tut das nicht! Das ist der falsche Weg. Es gibt etwas viel Besseres!«
»Ach ja? Was denn?«
»Ähm. Wir müssen – die Verantwortlichen ausfindig machen«, redete ich drauf los.
»Dieser Ilja Jansen ist verantwortlich.«
»Ja, das glaubst du. Aber er ist – nur ein kleiner Fisch. Wir müssen aber an die Hintermänner drankommen.«
»Hintermänner?«, fragte er verständnislos.
»Ja, die Hintermänner.« Das klang total einleuchtend. Es gab immer Hintermänner.
»Trautchen, hast du gehört?«, wandte sich mein Vater vom Telefon ab. »Puna meint, es gibt noch Hintermänner.«
Ich hörte meine Mutter etwas murmeln, was ich nicht verstand. »Pass auf, Papa. Wir machen es so: Ihr macht erst mal überhaupt nichts. Ich werde meine Kontakte nutzen, ein paar Beziehungen spielen lassen und hier und da am Rädchen drehen. Und wenn ich weiß, wer eigentlich dafür verantwortlich ist, sage ich euch Bescheid. In Ordnung?«
»Puna meint, sie sucht für uns die Hintermänner«, informierte mein Vater meine Mutter. »Also gut. In Ordnung. Wir verlassen uns auf dich.«
Ich ging noch einmal auf die Terrasse, um mich auch dort vom ordnungsgemäßen Zustand aller Gegenstände zu überzeugen und die Bonsais zu wässern. Während ich das Regenwasser in die Kanne laufen ließ, fiel mein Blick auf den Kirschbaum. Die Kirschen waren noch röter geworden und hingen dick und üppig an den Ästen, die sich teilweise bis auf den Boden bogen.
»Weißt du was?«, sagte ich zu mir selbst. »Jetzt machst du mal was ganz Verrücktes. Jetzt isst du eine Kirsche.«
Entschlossen ging ich zu dem Baum, pflückte eine perfekt aussehende Frucht und wischte sie mit dem Finger sauber. Ich wollte sie schon gerade in den Mund stecken, da fiel mir ein, dass es vielleicht doch besser wäre, wenn ich sie aufmachen und auf Würmer untersuchen würde. Ich riss sie zwischen meinen Fingern auf, und der Saft spritzte mir auf die weiße Bluse. Na, bravo. Ganz toll!
Ich schmiss die Kirsche in die Hecke und rannte zur Wasserpumpe, um mir die Ralph-Lauren-Bluse sauber zu machen.
Da hörte ich eine vertraute Stimme: »Banjo! Nicht so schnell.«
Ich drehte den Kopf. Auf der Straße kamen meine Eltern auf ihrem Tandem angefahren. Mit ihren bunten Klamotten waren sie ungefähr so unauffällig wie ein feuerspeiender Drache. Banjo rannte – natürlich unangeleint – vor ihnen her. Mist! Schnell hechtete ich hinter die etwa hüfthohe Hecke und kauerte mich auf den Rasen. Zum Glück war alles trocken, sonst hätte ich mir meine schönen Schuhe verdorben.
Ich zupfte gerade ein Blättchen von dem schwarzen Leder, als ich Banjos Hecheln hörte, und zwar sehr nah. Ich sah auf. Er lugte durch einen Spalt in der Hecke und wedelte wie verrückt mit dem Schwanz.
»Pscht!«, machte ich. »Lauf weiter, Banjo. Los, hol das Stöckchen.«
Aber er wedelte nur noch mehr und steckte seinen Kopf ins Gestrüpp, kam aber nicht weiter. Er fing an zu jaulen.
»Was hast du denn da, Banjo?«, rief meine Mutter.
Mit einem Quietschen brachten sie das Tandem zum Stehen. Banjo bellte jetzt, rannte zum Gartentor und kratzte daran. Oh nein! Er machte noch den Lack kaputt.
»Los jetzt, Banjo«, dröhnte mein Vater, stieg ab und näherte sich. »Nanu?« Mein Vater stutzte. »Was haben wir denn da für ein Häschen in der Grube?«
Ich stand auf. »Hallo, Papa.«
»Was? Puna ist da?« Meine Mutter kam auch herüber. »Wem gehört denn das Haus?«
»Das gehört meinem Chef«, sagte ich verlegen. »Er ist im Urlaub, und ich gieße hier die Blumen.«
Sie schauten mich einen Moment
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