Orgie im Mondschein
nervös um mich herum. »Ich werde in einer halben Stunde zurück sein,
Mr...« Als sie die Tür erreicht hatte, hatte sie bereits Laufschrittempo .
Ich trat in Reinharts winziges
Büro und begann zu suchen. Die unordentlich auf dem Schreibtisch herumliegenden
Papiere sagten mir nicht allzuviel — bei den meisten
handelte es sich um Warenrechnungen, Quittungen und die langweiligen Briefe,
die ein Importeur bei der Bestellung von Sendungen aus Übersee verfaßt . In den Schreibtischschubladen sah es nicht besser
aus; alles, was sie verrieten, war die faszinierende Tatsache, daß Reinhart Mentholzigaretten rauchte und daß er — den
Papiertaschentuchpackungen nach — an einer Tropfnase litt. Ich wandte mich dem
staubigen Karteikasten in der einen Ecke zu, und in der dritten Schublade von
oben fand ich einen Aktenordner, der interessant aussah. Klublieferungen stand darauf. Ich nahm ihn heraus und setzte mich an den Schreibtisch, um ihn
mir anzusehen.
Anscheinend gehörte es zu Reinharts
Geschäften, verschiedene Klubs mit importiertem Küchengeschirr, Bestecken und
Glaswaren zu versorgen. Der Aktenordner enthielt eine Aufzeichnung von Waren,
die im letzten Jahr an verschiedene Klubs geliefert worden waren. Insgesamt
handelte es sich um vier Klubs und einer von ihnen war das Nebelhorn. Der Name war durchgestrichen worden, und darunter hatte man Der angebundene
Ziegenbock geschrieben. Ich prüfte, was alles an die vier Klubs geschickt
worden war, und alles wirkte ganz normal — man konnte an zwei Dutzend Gläsern ( Highballgröße ) oder drei Dutzend rostfreien Stahlmessern
und -gabeln wirklich nichts Illegales oder auch nur Romantisches finden. Es
bedurfte einer Viertelstunde trübsinnigen Lesens und erneuten Lesens, bis mir
etwas auffiel, das mir die ersten sechs Male entgangen war. In den letzten paar
Monaten hatten sich die drei anderen Klubs entweder aufgelöst oder sie bezogen
ihre Lieferungen von woanders. Unmittelbar nach dem Zeitpunkt, als das Nebelhorn sich in den Angebundenen Ziegenbock verwandelt hatte, war es zum
einzigen noch belieferten Klub geworden. Der Klub schien den Aufzeichnungen
nach quantitativ nicht mehr gekauft zu haben, aber die Lieferungen waren weit
häufiger — zwei- oder dreimal im Monat, anstatt einmal im Monat wie zuvor.
Ich legte den Aktenordner in
den Karteischrank zurück, zog die unterste Schublade heraus und fand nichts von
weiterem Interesse. Aber inzwischen war es auch beinahe halb zwölf geworden,
und ich fand es an der Zeit, mich zu verdrücken. Die gelangweilte Blondine
drückte sich gegen die Wand, als ich an der Treppe an ihr vorüberging, und
versuchte verzweifelt, so zu tun, als wäre sie unsichtbar.
»Der Tag der Bürger von Los
Angeles ist nahe!« murmelte ich mit fieberhafter Stimme, während sie versuchte,
sich in der Wand zu vergraben. »Heute — die Golden-Gate-Brücke! Morgen — die
Welt!«
Ich kehrte in mein Hotelzimmer
zurück und hatte ausreichend Zeit, um mich zu rasieren und umzuziehen und zudem
aus dem Koffer die Achtunddreißiger in den
Gürtelhalfter zu nehmen und ihn anzulegen, bevor es an die Tür klopfte. Sally
trat, ein Lächeln auf dem Gesicht, munter ein, und ich schloß die Tür hinter
ihr.
»Hallo!« Ihre Augen waren
vergnügt, als sie mich anblickte. »Ich komme mir wie eine Geheimagentin vor
oder so was.«
»Die Frage ist im Zweifelsfall
nur, wo kriegt man um diese Morgenzeit eine Geheimagentin her?« brummte ich.
»Was war los?«
»Es war ganz einfach.« Sie kam
leise über den Teppich. »Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich ihm
erzählte, du würdest heute nachmittag zum Sanatorium
hinausfahren um die Wahrheit über Carols Tod herauszufinden! Einen Augenblick
lang dachte ich, er würde zerspringen!«
»Was hat er gesagt?«
»Nicht viel«, gestand sie. »Er
sagte, Linc sei übergeschnappt, wenn er eifersüchtig
auf mich sei, obwohl ich doch nur meine Pflicht getan hätte, und er wolle mit
ihm sprechen. Oh — und ich sei ein kluges Mädchen gewesen, weil ich ihm
erzählte, was vorgefallen sei, und Linc sei ein
Trottel, daß er nicht zugehört habe. Aber er würde Linc schon zur Vernunft bringen — und zwar schnellstens, sagte er.«
»Hat er irgendwelche Fragen
gestellt?«
»Nein.« Sie schüttelte
bedächtig den Kopf. »Darüber war ich sehr überrascht — du hattest mich doch
gewarnt. Erinnerst du dich? Ich war bereit, ihm mitzuteilen, daß ich weiter
nichts wüßte; aber er fragte nach gar nichts. Ich war irgendwie
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