Orphan 1 Der Engel von Inveraray
Grausamkeiten schließlich keinen Augenblick länger ertragen konnte. Sie haben sie ermordet, Vincent, gerade so, als hätten Sie sie eigenhändig in diesen Teich geworfen und ihren Kopf unter Wasser gehalten, während sie, nach Luft ringend, verzweifelt zappelte ..."
„Das reicht, Haydon."
Genevieves Stimme durchschnitt seine Hasstirade wie ein Rasiermesser. Haydon hielt inne und guckte sie erstaunt an, doch ihre Aufmerksamkeit galt Vincent, der seinen Griff um Annabelle verstärkt hatte, als suche er Halt bei ihr, die Pistole noch immer auf ihre Schläfe gerichtet.
„Verzeihen Sie, Lord Bothwell", begann Genevieve in sanftem Ton. „Ich glaube nicht, dass Lord Redmond Sie versteht. Sie haben Emmaline sehr geliebt, nicht wahr?"
Keiner wagte auch nur ein Wort zu äußern, während Vincent Genevieve entgeistert anstarrte.
„Ich kann es sehen", fuhr sie ruhig fort. „Und ich kann es fühlen. Sie haben sie furchtbar geliebt, und als sie starb, glaubten Sie, es nicht ertragen zu können."
Im Raum herrschte Totenstille, während alle auf Vincents Antwort warteten.
„Sie war ... alles für mich", brachte er schließlich mühsam hervor.
„Das ist eine verdammte Lüge!" rief Haydon. „Wenn Sie sie geliebt hätten, dann wären Sie niemals fähig gewesen, sie derart zu quälen."
Den Blick fest auf Vincent gerichtet, als wären sie die beiden einzigen Personen im Raum, sprach Genevieve leise weiter: „Es war eine entsetzliche Entdeckung für Sie, dass sie nicht Ihr eigenes Kind war, richtig?"
Vincent schwieg.
„Und in Ihrem Zorn und Ihrem Schmerz ertrugen Sie es nicht, ihr nahe zu sein, nicht wahr?"
Seine Lippen wurden schmal.
„Und so haben Sie versucht, sie aus Ihrem Herzen zu verbannen."
Er starrte sie schweigend an und rang mit den Dämonen, die seine Seele in ihren Klauen hielten. Und dann entschlüpfte seiner Kehle ein hilfloser, schmerzlicher Laut, halb Gelächter, halb Schluchzen. „Meine Frau hat gelacht, als sie es mir sagte. Ich sei ein Narr, meinte sie, und sie und Redmond würden sich den Rest ihres Lebens über mich amüsieren, weil ich nicht erkannt habe, dass das Kind, welches ich fünf Jahre lang so bereitwillig als mein eigenes betrachtete, in Wahrheit gar nicht meines war."
„Deshalb sind Sie noch lange kein Narr, Lord Bothwell", entgegnete Genevieve mit Nachdruck. „Sie liebten sie. Sie war Ihre Tochter."
Er schüttelte den Kopf. „Ich war nicht ihr Vater."
„Nicht ihr leiblicher Vater vielleicht. Doch es ist nicht das Blut, das die stärksten Bande der Liebe knüpft oder eine Familie ausmacht. Fragen Sie nur meine Kinder."
Er ließ den Blick hilflos über die Gesichter der Kinder schweifen.
„Emmaline ist nicht für die Umstände ihrer Geburt verantwortlich - ebenso wenig wie ein jeder von uns", fuhr Genevieve fort. „Es war falsch, sie für etwas zu bestrafen, für das sie nichts konnte. Doch ich glaube nicht, dass Sie ihr solchen Schmerz zufügen wollten. Ich nehme an, Sie empfanden Ihre Liebe zu ihr als zu quälend, also errichteten Sie einen Schutzwall und versuchten, sie auf die andere Seite zu stoßen. Und das hat sie nicht ertragen."
„Ich habe nicht begriffen, wie zart und zerbrechlich sie war", gestand er, den Blick von Reue getrübt. Er lockerte seinen Griff um Annabelle ein wenig, als fürchte er plötzlich, auch sie könne zarter sein, als er vermutete. „Ich dachte, sie würde sich einfach von mir abwenden und ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen widmen. Ich redete mir ein, es sei das Beste, denn ich ging davon aus, dass sie eines Tages die Wahrheit erfahren würde. Ich meinte, es wäre einfacher für sie zu ertragen, wenn sie sich nicht ihr ganzes Leben lang an meine Hand geklammert hätte. Doch stattdessen habe ich sie zerstört." Er schaute Haydon an. „Und genau das haben Sie auch getan, Redmond.
Sie haben sie leichtsinnig mit einer Frau gezeugt, die keine zärtlichen Gefühle für ihr eigenes Kind hegen konnte, und darum war es unausweichlich, dass ich eines Tages die Wahrheit erfahren würde. Cassandra scherte es nicht, welche Folgen dieses Wissen für Emmaline haben würde. Statt sie zu lieben und sie schützen zu wollen, war sie auf ihre eigene Tochter eifersüchtig, weil diese so eine gute Beziehung zu mir hatte. Sie wollte mich bestrafen und auf eine unbegreifliche, verachtenswerte Weise auch Emmaline, vermutlich, weil sie eine stete Erinnerung an Sie darstellte.
Und ich war zu blind vor Zorn, um es zu sehen." Seine Stimme bebte vor
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