Orphan 2 Juwel meines Herzens
für ihn gewesen, zu einer Zeit im Leben, als er glaubte, dass die Welt ihm nichts außer Bitterkeit und Trauer zu geben hatte. All dies wollte er ihr sagen und noch weit mehr. Aber falls ein solcher Brief in die falschen Hände fiel, brachte Harrison Charlotte damit nur in Gefahr, entweder selbst angeklagt oder doch zum Gegenstand hässlichen Klatschs zu werden. Deshalb wollte er ihr nur eine kurze Nachricht übersenden. Darin würde er höflich versichern, dass es ihm eine Ehre gewesen sei, sie kennen gelernt zu haben, und er ihr für das Heim viel Erfolg wünschte.
Daraus konnte nicht einmal der gewiefteste Staatsanwalt einen Beweis gegen sie drehen.
Ein Schlüssel quietschte im Schloss, und dann öffnete sich die schwere Holztür. Es erschien die gebeugte Gestalt des mageren Wächters Digby, der einen schlecht sitzenden Frackrock und Hosen mit Nadelstreifen trug, was so gar nicht wie die angemessene Kleidung für seinen Beruf scheinen wollte.
Hinter ihm kam der erstaunlich lebendig wirkende Turner an einem Gehstock hereingehumpelt.
„Der Inspector möchte Sie sprechen, Euer Lordschaft" verkündete Digby feierlich und richtete sich dabei so weit auf, wie es sein buckliger Rücken erlaubte.
„Danke Digby“, antwortete Harrison höflich, dessen Ton verriet, wie erleichtert er war, den Inspector am Leben zu sehen.
„Lass uns allein“, wies Turner den Alten an und stampf te einmal mit dem Stock auf.
Digby schaute fragend zu Harrison hinüber.
„Das wäre dann alles, Digby“, erklärte der also. „Danke. “
„Wie Euer Lordschaft wünschen“, erwiderte der Aufseher und neigte vornehm den Kopf. „Falls Euer Lordschaft mich noch brauchen, müssen Sie nur nach mir rufen. “
Damit verließ er die Zelle und schloss von außen einmal um. Harrison und Turner blieben allein zurück.
„Inspector, ich bin hocherfreut, Sie so munter wiederzusehen“, erklärte Harrison herzlich. „Wollen Sie sich nicht setzen? “ Er wies einladend auf den altersschwachen Stuhl.
Turner funkelte ihn böse an und rührte sich nicht. Zugegeben, er hätte sich gern gesetzt. Aber er hatte nicht vor, Höflichkeitsbekundungen von Lord Bryden entgegenzunehmen, nachdem der ihn fast ermordet hatte. Glücklicherweise war der Kerl ganz offensichtlich ein miserabler Schütze - oder aber das Dunkel der Nacht hatte ihn sein Ziel verfehlen lassen, als der Inspector bewusstlos in Lord Whitakers Arbeitszimmer am Boden gelegen hatte. Jedenfalls war ihm die Kugel lediglich in den Oberschenkel gedrungen. Ein Chirurg, der den Namen kaum verdiente und eigentlich wohl eher zum Schlachter berufen war, hatte mit einiger Mühe das Geschoss entfernt, dem Patienten nochmals versichert, wie viel Glück er gehabt hatte, und für die nächste Woche Bettruhe angeordnet.
Statt sich an diese Anweisung zu halten, hatte Turner nach einem Gehstock verlangt.
»Wie ich feststellen kann, ist es Ihnen ja schnell gelungen, sich den Aufseher zu Diensten zu machen“, bemerkte er eisig. Offenbar hielt Digby den Schatten für einen Helden. Unglaublich! „Na ja, im Vergleich mit dem Abschaum, der hier sonst einsitzt, sind Sie natürlich fast der König p ersönlich. “
»Vielleicht bin ich auch lediglich einer der wenigen hier, die Digby je auch nur mit einem Hauch von Respekt behandelt haben“, entgegnete Harrison. „Probieren Sie es einfa ch bei Gelegenheit einmal selbst damit - das Ergebnis würde Sie erstaunen. “
Ungerührt schaute Turner ihn an. „Wagen Sie es nicht mir gute Ratschläge zu erteilen, Bryden. Sie, ein Dieb und Mörder! Wenn Sie glauben, Sie wären etwas Besseres als ich, nur weil Sie ein Earl sind, irren Sie sich gewaltig. “
„Verzeihung, aber auf den Gedanken bin ich nun wirklich nicht verfallen, Inspector. Sie sind gebildet, besitzen einen scharfen Verstand und sind noch dazu bewundernswert zielstrebig. Es dürfte wohl kein Zweifel daran bestehen, dass Sie eine großartige Zukunft vor sich haben. Derlei kann man von den meisten Aristokraten wohl kaum behaupten. “
Misstrauisch musterte Turner ihn. Sollte das etwa ein Kompliment sein?
„Was hat Sie dazu getrieben, Bryden? “ verlangte er zu erfahren. „Ich weiß, dass Sie damals vor Jahren mit den Diebeszügen begannen, weil Ihr Vater Ihr ganzes Erbe durchgebracht hatte. Und Sie waren entschlossen, sich zumindest Teile davon zurückzuholen - selbst wenn Sie dafür stehlen mussten. Zweifellos glaubten Sie, ohnehin der rechtmäßige Besitzer des Schmucks zu sein, und
Weitere Kostenlose Bücher