Orphan 2 Juwel meines Herzens
abhalten. Höflich wandte er sich also ab und legte den Morgenmantel an.
Sie zog sich ebenfalls wieder an und arrangierte ihre Kleidung, so gut es ging. Hoffentlich merkte Oliver nur nichts! Umständlich knöpfte sie das Mieder zu und fuhr sich glättend übers Haar.
„Du darfst dich wieder umdrehen“, erklärte sie endlich.
Als er sie anschaute, glaubte er, dass Herz müsse sich ihm schmerzhaft in der Brust zusammenziehen. „In ein paar Tagen habe ich das Geld. Dann können wir eine Verabredung mit deinem Vater treffen. Ich schicke dir eine Nachricht, sobald alles bereit ist. Mach dir nur nicht zu viele Sorgen um Flynn. “ Am liebsten hätte er sie wieder in die Arme gezogen. „Er ist ein aufgewecktes zähes Bürschchen und hat gelernt, wie man sich durchschlägt. Ihm passiert schon nichts Schlimmes. “
Da war sie sich zwar nicht so sicher, widersprach aber auch nicht. Es hatte ja nun wirklich keinen Sinn, den Teufel an die Wand zu malen, und sie konnte es sich auch einfach nicht leisten, jetzt in Hysterie auszubrechen. Sie musste stark sein für Flynn und ihre anderen Schützlinge: Annie, Ruby, Violet, die Menschen, die sie liebte. Ja, sogar für Harrison.
„Telford wird dich hinausgeleiten. “ Harrison zog am Samtband der Klingel. „Oliver wäre sicher wenig erfreut, wenn ich dich in meinem leicht bekleideten Zustand zur Kutsche bringe. “ Er öffnete eilig die Tür, weil er fürchtete, dass es sonst um seine Selbstbeherrschung geschehen wäre und er sie wieder in die Arme ziehen würde.
Charlotte betrachtete ihn. Dunkel schien es in seinen Augen aufzuleuchten, als wären sie ein Spiegel der wider-streitendsten Gefühle... unendliche Sehnsucht mischte sich darin mit schmerzlichstem Bedauern. „Harrison“, besann sie sanft.
»Sie haben geläutet, Mylord? “ fragte Telford und zog verschlafen den Gürtel seines Morgenmantels fest, während er den Flur entlangschritt.
»Miss Kent verlässt uns jetzt“, verkündete Harrison.
„Bitte begleiten Sie sie zu ihrer Kutsche. “
„Selbstverständlich, Sir. “ Telford verneigte sich formvollendet vor Charlotte. Verschlafen, wie er war, gelang es ihm dennoch, einen erstaunlich würdevollen Eindruck zu machen. „Nach Ihnen, Miss Kent. “
Charlotte senkte den Kopf und humpelte den Flur hinab zur Treppe. Wenn nur Telford und Harrison nicht bemerkten, dass ihr eine Träne die Wangen hinunterlief - obwohl sie sich solche Mühe gab, nicht zu weinen.
Turner trat zurück in den Schatten, als Charlottes Kutsche bei Tagesanbruch durch den milchigen Londoner Nebel davonratterte.
Die ganze Nacht schon hatte er Lord Brydens Haus beobachtet. Wahrlich kein spannender Auftrag, aber da Turner ihn sich selbst erteilt hatte, durfte er sich nicht beschweren. Chief Inspector Holloway hätte ohnehin nie zugelassen, dass einer seiner Mitarbeiter einen von Londons angesehensten Bürgern überwachte, der noch dazu den Titel eines Earl trug, als genialer Geschäftsmann, pflichtbewusster Sohn und überaus gesetzestreu galt. Es war kein Geheimnis beim Yard, dass Holloway Turner nicht ausstehen konnte - und der Mann versuchte auch keineswegs, einen Hehl daraus zu machen. Ganz im Gegenteil. Er vermutete nämlich, dass Turner sich ihm geistig überlegen fühlte.
Erstaunlicherweise hatte der Chief in diesem Punkt mit seinen Vermutungen ausnahmsweise einmal Recht.
Turner hatte schon kurz nach seiner Einstellung den groben Fehler begangen, Holloway zu erzählen, dass er selbst einen Universitätsabschluss besaß. Sein Vorgesetzter machte ihm daraufhin schnell klar, dass derlei nur etwas für Weichlinge und reiche Gören war, die ihre Zeit gern mit solchen Überflüssigkeiten verplemperten. Alles, was Holloway wusste, habe er in der Schule des Lebens gelernt, versicherte er. Als ob sein kleines spießiges Leben anderen Menschen als Vorbild dienen könnte! Jedenfalls wäre es dem Chief lieber gewesen, nur Detectives beim Yard einzustellen, die ihre Erfahrungen ebenfalls ausschließlich im Streifendienst gesammelt hatten - statt in irgendwelchen Bibliotheken zu sitzen und unnützes Gekritzel in Altgriechisch auswendig zu lernen. Und das sagte er Turner auch. Der hielt dagegen, dass der moderne Kriminologe die Wissenschaften für seine Arbeit brauchte: Medizin, Chemie, die Rechtswissenschaften. Das waren Dinge, die man nicht auf der Straße lernen konnte. Nein, man musste sie eingehend studieren!
Die Bemerkung brachte ihm einen Fall ein, bei dem er sechs Monate darauf verwenden
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