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Ort des Grauens

Ort des Grauens

Titel: Ort des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Candy in Hörweite war, nicht ein einziges Mal in ihren ganzen fünfundzwanzig Lebensjahren  – die Zwillinge waren vier Jahre jünger als er -, aber er wußte nicht, ob sie nicht sprechen konnte, einfach nicht sprechen wollte oder nur in seiner Gegenwart zu schüchtern war, den Mund aufzutun. Violet war nahezu so schweigsam wie ihre Schwester, doch wenn sie es für nötig hielt, sagte sie etwas. Offenbar gab es also im Augenblick nichts, was gesagt werden mußte.
    Er stand neben dem Kühlschrank, beobachtete sie, wie sie über Verbinas bleiche Hand gebeugt dasaßen, sich verschönerten, und er glaubte, sein Urteil über sie sei vielleicht unfair. Andere Männer fanden sie möglicherweise auf ihre Art attraktiv. Obwohl ihre Körperglieder für seinen Geschmack zu dünn waren, fanden andere Männer sie vielleicht geschmeidig und erotisch wie die Beine von Tänzerinnen und die Arme von Akrobatinnen. Ihre Haut war so weiß wie Milch, und ihre Brüste waren voll. Da er -Gott sei Dank keinerlei Interesse an Sex hatte, fehlte ihm die Qualifikation, über ihre Ausstrahlung zu urteilen.
    Gewöhnlich trugen sie so wenig wie möglich, so wenig er eben ertragen konnte, bevor er ihnen befehlen mußte, sich mehr anzuziehen. Im Winter hielten sie das Haus unangemessen warm. Deshalb zogen sie sich meist - wie jetzt - nur T-Shirts und Shorts oder einfach Höschen an und liefen barfuß und ohne Strümpfe herum. Nur das Zimmer seiner Mutter, das jetzt seines war, wurde kühler gehalten, weil er die Heizung dort oben abgestellt hatte. Wäre er nicht dagewesen -was sie zwang, einen gewissen Grad der Schicklichkeit einzuhalten -, wären sie wahrscheinlich zu Hause ganz nackt herumgelaufen.
    Langsam, sehr langsam und träge feilte Violet Verbinas Daumennagel, auf den sie beide so gebannt starrten, als könne man aus der Krümmung seines Halbmondes oder dem Bogen des Nagels selbst die ganze Bedeutung des Lebens herauslesen.
    Candy plünderte den Kühlschrank, nahm sich ein dickes Stück Dosenschinken heraus, eine Packung Schweizer Käse, Senf, Gurken und einen Liter Milch. Er holte sich Brot aus dem Schrank und setzte sich auf den Küchenstuhl neben dem ehemals weißen, inzwischen vergilbten Tisch.
    Der Tisch, die Stühle, die Wandschränke und die Holzteile waren einst strahlend weiß gewesen, waren aber vor dem Tod seiner Mutter zum letzten Male gestrichen worden. Jetzt waren sie gelbweiß, grauweiß an den Kanten und in den Ecken, ganz zerkratzt und abgestoßen. Die Tapete mit dem Gänseblümchenmuster war bespritzt, beschmutzt und wölbte sich an einigen Stellen an den Rändern auf, und die Chintzvorhänge, die voller Fettspritzer und Staub waren, hingen schlaff herunter.
    Candy bereitete sich zwei dicke Schinken-und-Käse-Sandwiches und aß sie auf. Die Milch trank er direkt aus dem Karton.
    Plötzlich sprangen alle sechsundzwanzig Katzen, die bislang träge um die Zwillinge herumgelegen hatten, gleichzeitig auf, stolzierten zu der Katzenklappe in der Tür, die ins Freie führte, und verschwanden nach draußen. Offenbar Zeit für ihr Geschäft. Violet und Verbina wollten nicht, daß das ganze Haus nach Katzenstreu roch.
    Candy schloß die Augen und nahm einen großen Schluck Milch. Ihm wäre es lieber gewesen, sie hätte Zimmertemperatur gehabt oder wäre sogar lauwarm gewesen. Sie schmeckte ein wenig nach Blut, wenn auch nicht so angenehm beißend. Sie wäre dem Blut gewiß ähnlicher, wenn sie nicht so kalt gewesen wäre.
    Innerhalb von ein paar Minuten kehrten die Katzen zurück. Verbina lag jetzt auf dem Rücken, unter dem Kopf ein paar Kissen, die Augen geschlossen. Sie bewegte die Lippen, als spräche sie mit sich selbst, doch es war kein Laut zu hören. Sie streckte die andere schlanke Hand aus, damit ihre Schwester deren Nägel ebenso akribisch feilen konnte.
    Die langen Beine hatte sie gespreizt, und Candy konnte zwischen ihre weichen Schenkel blicken. Sie trug nur ein T-Shirt und ein dünnes, pfirsichfarbenes Höschen, das die Spalte, die sie als Frau auswies, eher betonte denn verhüllte. Die schweigsamen Katzen machten es sich auf ihr bequem, offenbar mehr besorgt um Schicklichkeit und Anstand als sie. Und sie schauten Candy vorwurfsvoll und anklagend an, als wüßten sie, wo er hingesehen hatte.
    Er senkte den Blick und betrachtete die Brotkrumen auf dem Tisch.
    »Frankie war da«, sagte Violet.
    Zunächst überraschte ihn die Tatsache, daß sie etwas gesagt hatte, mehr als das, was sie gesagt hatte. Dann aber hallte

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